(rk) Fußballfans und Gewalt: Leider kommt es in den Massenmedien oft zu einer recht undifferenzierten Berichterstattung. Da werden schnell schon mal Fans, die den Aufstieg ihrer Mannschaft seit über einem Jahrzehnt herbeisehnen und – vermeintlich auch versehentlich und ohne böse Absicht – vorzeitig auf den Platz stürmen, zu Fußballchaoten und Schwerstverbrechern abgestempelt. Was sagt eigentlich die Wissenschaft dazu? SCHALKE UNSER sprach mit dem Kriminologen Prof. Dr. Thomas Feltes.
SCHALKE UNSER:
Herr Professor Feltes, Sie beschäftigen sich an Ihrem Lehrstuhl an der Ruhr-Universität Bochum mit Themen der Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft. Man darf Sie sich aber nicht als Kurt Wallander oder Sherlock Holmes vorstellen, oder?
PROF. FELTES:
Nein, aber beide finde ich faszinierend, aus unterschiedlichen Gründen. Ich lese selbst gerne Krimis und schaue mir auch gerne welche im Fernsehen an. Aber beruflich beschäftige ich mich in der Kriminologie eher mit den sozialen Hintergründen von Kriminalität und weniger mit der Aufklärung von Straftaten. Dafür ist die Kriminalistik zuständig. Wenn man sich mit den sozialen Bedingungen von Verhalten beschäftigt, dann muss man sich auch mit politischen Konsequenzen aus diesen Analysen beschäftigen. Daher die ,,Kriminalpolitik”.
Die Polizeiwissenschaft habe ich an meinem Lehrstuhl erstmals als universitäre Disziplin in Deutschland eingeführt. Bevor ich 2002 nach Bochum kam, war ich zehn Jahre Rektor der Polizeihochschule in Baden-Württemberg.
Da lag die Idee nahe, sich mit der Polizei und ihrem Handeln intensiver wissenschaftlich zu beschäftigen, wie dies zuvor im Ausland längst der Fall war.
SCHALKE UNSER:
Die Fangewalt hat in gewissen Bereichen neue Dimensionen erreicht, denkt man etwa an den Fall ,,Pezzoni” in Köln oder auch an schon stattgefundene Überfälle auf Fanbusse.
PROF. FELTES:
Es sind solche spektakulären Einzelfälle, die für Schlagzeilen sorgen. Als Wissenschaftler weiß ich, dass man sich davon nicht blenden lassen darf. Tatsächlich gibt es keine seriösen Hinweise darauf, dass die Gewalt tatsächlich zugenommen hat. Was nachweislich mehr geworden ist, ist der Einsatz von Pyrotechnik und die sich darauf oftmals ergebenden Konfrontationen mit der Polizei und damit die Zahl der Polizeieinsätze bzw. der Einsatzstunden. Ungeachtet dessen sehe ich als Kriminologe durchaus die Gefahr der weiteren Eskalation.
Es gibt zunehmend Fans, denen das Spiel nicht wichtig ist, sondern das Geschehen drum herum, und dazu zählen auch körperliche Auseinandersetzungen mit der Polizei und mit gegnerischen Fans. Diese ,,Fans” suchen vor allem die Auseinandersetzung, den Kick, das ,,Event”. Sie fiebern die ganze Woche über darauf, dass am Wochenende endlich ,,was abgeht”. Hier brauchen wir mehr aufsuchende Sozialarbeit, denn das ist ein soziales Problem, und kein Problem des Fußballs und schon gar keines, das man mit repressiven Mitteln lösen kann. Am und um das Stadion herum kumuliert und eskaliert die Situation unter anderem auch, weil die Medien die Bühne dafür bereit stellen und Politiker die Berichte dann als Profilierungsplattform nutzen.
SCHALKE UNSER:
Auch wenn diese genannten Fälle sicherlich extreme Ausmaße zeigen, so ist doch allgemein bekannt, dass Gewaltverbrechen im Kontext des Fußballs in Deutschland eher rückläufig sind. Und trotzdem haben Fußballfans im Allgemeinen – und Ultras im Speziellen – inzwischen einen schlechten Ruf in den Massenmedien.
PROF. FELTES:
Tatsächlich kann man nicht erwarten, dass eine Gruppierung, die duldet, dass aus ihren Reihen heraus Polizeibeamte angepöbelt und angegriffen oder gegnerische Fans mit Pyros beschossen werden, zu Lieblingen der Nation werden. Leider führt die zunehmende Abschottung der Ultras auch dazu, dann man nicht mehr differenziert das betrachtet, was diese Gruppierungen tun, und das ist zu 99 Prozent positiv.
Sie sorgen für die Stimmung im Stadion, sie organisieren die An- und Abreise zu den Auswärtsspielen und sie gestalten die Freizeit der Fans. Wir müssen sehr aufpassen, dass wir hier keine Solidarisierungsbewegung auslösen, nach dem Motto: Alle sind gegen uns, also müssen wir uns entsprechend wehren. Ich beobachte mit Sorge – und habe dies auch in einer Befragung festgestellt -, dass diejenigen, die sich professionell um die Fans kümmern, also Fanbeauftragte und Fanprojekte, zunehmend verzweifeln, da sie nicht die nötige Unterstützung durch Vereine und den DFB erhalten. Wenn wir diesen letzten Zugang zu den Ultras verlieren – und bei einigen Vereinen besteht diese Gefahr zumindest für Teile der Ultras -, dann fürchte ich tatsächlich, dass aus dem schlechten Ruf auch mehr wird.
In der Kriminologie nennen wir das ,,self-fulfilling prophecy – sich selbst erfüllende Prophezeiungen”. Das Fatale ist, dass einige der Ultras sich zunehmend unter Zugzwang fühlen, und immer mehr und immer härtere Pyrotechnik einsetzen. Die Polizei und die Vereine können nicht anders, als das zu unterbinden. Am Ende kann es nur einen Verlierer geben. Wenn es so weiter geht, sehe ich tatsächlich das Verbot der Stehplätze und personalisierte Tickets wie bei ähnlichen Großveranstaltungen kommen. Gerade die extensive Pyrotechnik können die Vereine nicht weiter dulden, denn irgendwann gibt es wieder Schwerverletzte, und dann sagt jeder zu Recht: Das konnte man doch kommen sehen, warum habt ihr nicht früher reagiert?
SCHALKE UNSER:
In der Medienberichterstattung geraten sehr häufig die Ultragruppierungen in den Fokus. Wir beobachten dabei zunehmend, dass die Themen Pyrotechnik und Gewalt insbesondere von Seiten des DFB, der Polizei und der Politik – vermeintlich auch bewusst – vermengt werden. Als Paradebeispiel kann man das Aufstiegsspiel von Fortuna Düsseldorf nennen.
PROF. FELTES:
Tatsächlich war es hier so, dass von den Fans keine Gewalt ausging, sondern man aus Freude über den Aufstieg den Platz stürmen wollte – was nicht zu rechtfertigen ist, aber zu erwarten war. In meinen Augen haben sich Ordnungsdienst und Schiedsrichter zumindest ungeschickt verhalten. Und wenn danach dann behauptet wird, dass der Schiedsrichter die Mannschaften wieder auf den Platz beordert hat, um ,,ein Blutbad” zu verhindern, dann wird die Steilvorlage für Politiker wie den Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich der CSU geliefert, der ,,Gewalt in den Stadien” als ,,die größte Bedrohung für den Fußball im Land” sieht. Generell sollte man konsequent von Gewalt nur dann sprechen, wenn es tatsächlich zu Gewalthandlungen gekommen ist. Das war hier weder beim Einsatz von Pyrotechnik durch die Hertha-Ultras, noch beim Platzsturm der Fall. Möglicherweise danach dann im Kabinengang – aber da waren ja keine Ultras beteiligt.
SCHALKE UNSER:
Die Ultras fühlen sich von DFB und Politik komplett missverstanden. Ihnen geht es ja im Prinzip darum, die Pyrotechnik – also insbesondere Bengalische Feuer – als Stilmittel der Emotionen zu etablieren, und das sollte aus sehr begründeten Sicherheitsbedenken natürlich auch in geschützten Bereichen – etwa vor der Kurve – geschehen. Der DFB hat die bereits sehr konkreten Gespräche mit den Ultras abgebrochen und angekündigt, sie auch nicht mehr aufzunehmen. Inzwischen sind die Fronten verhärtet, einige Ultragruppierungen haben derweil Kampfansagen gegen den DFB ausgesprochen.
PROF. FELTES:
Tatsächlich kann man das Verhalten des DFB als ungeschickt bezeichnen, wenn man freundlich sein will. Ich bezeichne es als unprofessionell. Wenn man ein Gespräch beginnt, dann muss man wissen, wo dieses Gespräch hinführen kann und wo es hinführen soll. Ich muss einerseits die Erwartungen der Gesprächs- partner kennen und andererseits wissen, wo ich selbst hin will. Beides war offensichtlich nicht der Fall. Hinzu kam die Tatsache, dass der ehemalige Sicherheitsbeauftragte Spahn bewusst oder unbewusst dieses Kuckucksei dem DFB hinterlassen hatte und der Nachfolger damit und mit den Erwartungen des DFB offensichtlich überfordert war. Er stand und steht nach wie vor zwischen Baum und Borke, zwischen Polizei (wo er herkam) und DFB. Da ist die Versuchung groß, sich durch eine harte Linie zu profilieren.
SCHALKE UNSER:
Die Ultras aus Gelsenkirchen und auch vom BVB haben vor dem Derby Gespräche mit der Polizei verweigert. Sind dies die ersten Zeichen, dass die Ultra-Fans bereits nicht mehr erreicht werden können?
PROF. FELTES:
Dieses Derby ist immer besonders brisant. Ich kenne die Details der Kommunikation im Vorfeld nicht und hoffe, dass die Vertreter der Ultras uns ihr Verhalten erklären können. Denn die Polizei hat, glaubt man der Medienberichterstattung, die Hand zum Gespräch ausgestreckt. Wer sie nicht ergreift, ist eine Erklärung schuldig.
SCHALKE UNSER:
Die Politik sieht ,,als letztes Mittel” auch die Abschaffung der Stehplätze. Würde das aus Ihrer Sicht tatsächlich die Gewalt bannen? Oder stecken nicht in Wahrheit ganz andere Interessen hinter dieser Forderung?
PROF. FELTES:
Sitzplätze machen ein Stadion nicht per se sicherer. Im Gegenteil: Wenn es dort zu einer Panik kommt, dann sind die Sitze Stolper- und Sturzfallen. Und auch Pyros können von Sitzplätzen aus gezündet werden, wie ich selbst sehen konnte. Den von Ihnen angedeuteten finanziellen Aspekt, Sitzplätze könnten teurer verkauft werden, sehe ich nicht, denn es kann auch billige Sitzplätze geben. Entscheidend ist die Finanzkalkulation der Vereine. Da allerdings sehe ich tatsächlich Probleme, wenn die Preise über die magische 20-Euro-Grenze gehen. Die Initiative ,,Kein Zwanni für einen Steher – Fußball muss bezahlbar bleiben” macht das deutlich. Denken Sie an 2010, als viele BVB-Fans auf den Besuch des Revierduells beim FC Schalke 04 aus diesem Grund verzichteten. 1500 Karten gingen zurück, der Gästeblock war wie leer gefegt. Das war das erste nicht ausverkaufte Derby seit vielen Jahren.
SCHALKE UNSER:
Als ,,Standardbestrafung” für Gewalttaten oder auch pyrotechnische Vergehen scheinen sich inzwischen Stadionverbote etabliert zu haben, die von den Vereinen ausgesprochen werden, nicht aber von Gerichten. Stattdessen führt die Polizei immer noch das umstrittene Zentralregister ,,Datei Gewalttäter Sport”.
PROF. FELTES:
Bei den Stadionverboten handelt es sich meiner Meinung nach um strafähnliche Maßnahmen, die von den Vereinen aufgrund einer oftmals dünnen Verdachtslage ausgesprochen und vielfach nicht revidiert werden, wenn das Strafverfahren später eingestellt wird. Sicher können die Vereine von ihrem eigenen Hausrecht Gebrauch machen, und dies auch präventiv, das heißt wenn ,,nur” ein Verdacht besteht. Aber bundesweit? Da habe ich rechtliche Bedenken. Auch die Mehrheit bei einer Befragung, die wir kürzlich im Raum Rostock durchgeführt haben, sieht das so: Sie wollen, dass Stadionverbote von Gerichten ausgesprochen werden. Das wäre etwa als Bewährungsauflage möglich, in Verbindung mit einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, wie wir sie aus dem so genannten ,,Daschner-Verfahren” in Frankfurt kennen.
Das wäre meines Erachtens die richtige Reaktion, zumal dann rechtsstaatliche Ermittlungen durchgeführt werden müssten, bevor das Verbot verhängt wird, und nicht danach. Zudem würde man Ersttätern eine reelle Chance geben, die sie im Moment nicht haben, denn ungeachtet der individuellen Vorgeschichte werden Stadionverbote quasi ,,blind” verhängt. Viele derjenigen, die ein Stadionverbot erhalten, sind eher Mitläufer und beteiligen sich etwa durch den Transport von Pyros, um in der Szene anerkannt und akzeptiert zu werden. Ihnen könnte und sollte man eine Brücke bauen. Stadionverbote werden beim DFB aber als Allheilmittel angesehen, ähnlich wie die Geldstrafen gegenüber den Vereinen.
Beides aber hat keine positive Wirkung. Im Gegenteil: Stadionverbote stärken nur die Teile der Ultraszene, die nicht kompromissbereit sind. Stadionverbotler werden dort wie Helden gefeiert. Und je mehr man sie durch zumindest zweifelhafte Verbote stärkt, umso mehr fördere ich ihren Widerstand und auch ihre Aggressivität. Es wäre wichtig, mehr über diese Personengruppe zu wissen, gegen die Stadionverbote verhängt werden.
Die ,,Datei Gewalttäter Sport” macht alleine keinen Sinn, sondern birgt eine andere Gefahr, die wir in der Kriminologie nur zu gut kennen: die der Stigmatisierung. Wer das Etikett ,,Gewalttäter” durch den Eintrag in diese Datei aufgeklebt bekommt, der wird es nur schwer wieder los.
Was wir wirklich und dringend brauchen, ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Themas. Ich kann nur hoffen, dass sich DFB und DFL da jetzt endlich bewegen, Geld in die Hand nehmen und unabhängige Kolleginnen und Kollegen finden, die das Thema empirisch aufarbeiten. Denn nur dann können spätere Ergebnisse auch einer Diskussion in der Praxis und der Wissenschaft standhalten.
SCHALKE UNSER:
Der DFB hat angekündigt, zukünftig die Geldstrafen gegen die Vereine zu reduzieren und stattdessen die jeweiligen Täter stärker zu bestrafen.
PROF. FELTES:
Generell finde ich es positiv, dass die quasi mechanische Verhängung der Geldstrafen gegen die Vereine durchbrochen werden soll. Allerdings erhöht der DFB massiv den Druck auf die Vereine, die dadurch den ,,Schwarzen Peter” zugeschoben bekommen.
Kritisch sehe ich dabei vor allem den geplanten Passus, dass Strafen gegen Vereine in Zukunft dann verhängt werden sollen, wenn sie ,,ihrer Pflicht zur Tatverhinderung und Tataufklärung nicht nachgekommen sind”. Wer soll das prüfen und bewerten? Schon jetzt fehlt es dem DFB an einer seriösen und unabhängigen Instanz, die solche und ähnliche Sachverhalte – wie bei den Stadionverboten – rechtlich nachvollziehbar aufklärt.
Dieses Manko wird sich in Zukunft noch massiver zeigen. Der DFB bringt die Klubs damit in große Probleme. Ich kann nur hoffen, dass dies allen Beteiligten bewusst ist. Der leider, wie die Kriminologie zeigt, irrige Glaube an die Wirkung von repressiven Maßnahmen scheint auch beim DFB tief verwurzelt zu sein.
SCHALKE UNSER:
Und wie steht es mit der Polizei selbst? Wir beobachten oft genug, dass nicht deeskalierende Maßnahmen vorgenommen werden, sondern ganz im Gegenteil so manches Mal auch die Gewalt direkt von der Exekutive ausgeht.
PROF. FELTES:
Tatsächlich war jeder von mir Ende 2011 befragte Fanbeauftragte schon mal Opfer von Gewalt geworden. Und in bis zu 75 Prozent der Fälle war es Polizeigewalt. Allerdings haben sich bei unseren Spielbeobachtungen auch andere Facetten dieses Bildes gezeigt. Wir haben zwischen 2010 und 2012 mehr als 20 so genannte ,,Risikospiele” intensiv beobachtet und ausgewertet. Wir sahen schon sehr viel Provokation durch Ultras, wir sahen aber auch, dass die Polizei die Lage deeskalieren kann, wenn sie dies will, gut vorbereitet ist und professionell damit umgeht.
Allerdings habe ich seit einigen Monaten das Gefühl, dass der Geduldsfaden bei vielen eingesetzten Polizeibeamten dünner geworden ist. Sie sind die vielen Wochenend-Einsätze, die Pöbeleien und den Stress leid und ihm auch teilweise nicht mehr gewachsen. Hier sind erneut Polizei und Politik gefragt, zusammen mit der Wissenschaft Lösungen zu entwickeln. Das funktioniert im Ausland bestens, bei uns leider noch nicht. Dabei wissen wir aufgrund unserer eigenen Studien etwa bei der WM in Deutschland und der EM in Österreich, welches polizeiliche Handeln kontraproduktiv ist und welches konstruktiv.
SCHALKE UNSER:
In einem Sport-Bild-Interview haben Sie mit Kritik an den DFB nicht hinter dem Berg gehalten. Kurz nach Erscheinen des Interviews hat Sie die DFL aus dem wissenschaftlichen Beirat geworfen. Ist die DFL nicht kritikfähig?
PROF. FELTES:
Es verwundete mich schon, dass die DFL hier quasi als Handlanger des DFB fungierte, denn die Kritik richtete sich primär an den DFB und nicht an die DFL. Sicherlich war meine Kritik direkt, vielleicht auch überzogen. Aber jeder weiß, dass ,,Bild”-Redakteure das Ihrige dazu tun, Dinge zu polarisieren. Wenn ich dann nur wenige Stunden nach dem Erscheinen des Interviews schriftlich die ,,Kündigung” bekomme, ohne dass man ein Gespräch sucht, dann finde ich das bedauerlich, zumal man mich mit der Zusage eingeworben hat, unabhängige, wissenschaftliche Experten zu wollen, die sich auch inhaltlich einbringen. Mich hat das auch persönlich getroffen, da ich in der Zeit zuvor mehrere Anläufe für konstruktive Arbeit im und durch den Beirat gemacht hatte.
Aber vielleicht war es auch konsequent: Man wollte offensichtlich nicht mehr mit mir zusammenarbeiten und hat deshalb auch meine Bitte um Unterstützung bei einer Studie zu den Stadionverbotlern abgelehnt. Die Polizei oder jede Behörde hätte die Daten, die wir für unsere Studie haben wollten, herausgeben müssen, nicht aber der DFB. Er tummelt sich in der Nische des Verbandswesens, obwohl Fuß ball längst eine höchst öffentliche Sache geworden ist. Die Vereine selbst wissen um das Problem sehr genau, sie sind aber vom DFB abhängig. Und ich selbst war dem DFB dabei sehr weit entgegengekommen.
SCHALKE UNSER:
Neben der Diskussion um Gewalt und Pyrotechnik könnte bald ein schon fast ausgerottet geglaubtes Problem in den Kurven der Fußballstadien wieder auftauchen. Wie gefährlich schätzen Sie den aktuell zu beobachtenden Trend ein, dass aus den Stadien vertriebene Ultras ein Vakuum hinterlassen, das wiederum von rechten Fangruppierungen ausgefüllt werden könnte?
PROF. FELTES:
Ich sehe das Problem eher in den inzwischen tausenden von jungen Menschen mit Stadionverbot, die dennoch zu den Spielen gehen und dann glauben, auf den An- und Abreisen ihrem schlechten Ruf gerecht werden zu müssen. Nur wenige Vereine bieten diesen ,,Ausgestoßenen” konstruktive Alternativen an (etwa eine Kneipe, wo man das Spiel sehen kann, oder Kontaktaufnahmen im Vorfeld). Auch hier haben Erfahrungen gezeigt, dass die ausgestreckte Hand durch Polizei und Vereine durchaus ergriffen wird.
Die vor kurzem von der ZIS herausgegebene Meldung, dass es ,,Überschneidungen” zwischen der gewaltbereiten Ultra-Szene und der rechtsextremistischen Szene gibt, ist nicht neu. Warum und von wem dies zur Schlagzeile gemacht wurde, weiß ich nicht.
In dem ZIS-Jahresbericht jedenfalls liest sich das anderes. Danach ,,handelt es sich um 5 (Vorjahr 7) Erstligastandorte mit zusammen 131 (Vorjahr 162) der rechten Szene zuzurechnenden Personen der Kategorien B und C” – also haben wir zumindest hier einen Rückgang, und keinen Anstieg zu verzeichnen.
Wenn es tatsächlich, so die ZIS, ein ,,rechtsmotiviertes Gewaltpotential” – was auch immer das sein soll – von 4,5 Prozent geben sollte: Ich bin mir sehr sicher, dass die 95,5 Prozent der anderen Fans damit umzugehen wissen. Dafür, dass die Fußballzuschauer ,,ein Spiegelbild der Gesellschaft” (Reinhard Rauball) sind, sind es eher wenige.
SCHALKE UNSER:
Ihre abschließende Meinung: Wie geht es weiter? Wird Pyrotechnik eines Tages tatsächlich in gesicherten Zonen erlaubt werden? Oder werden gar Stehplätze in Sitzplätze umfunktioniert werden müssen?
PROF. FELTES:
Ich bin kein Hellseher, aber ich weiß, dass es höchste Zeit ist, sich rational und anhand wissenschaftlicher Studien und Expertisen mit dem Thema zu beschäftigen. Dazu ist uns allen der Fußball zu wichtig. Wir sollten ihn nicht der Politik und den Verbandsfunktionären überlassen.
Der Fußball lebt von und mit seinen Fans – auch wenn diese manchmal nicht ganz pflegeleicht sind. Wenn man, wie der DFB dies immer wieder tut, die soziale Aufgabe des Fußballs betont, dann darf man dies nicht nur an Kinderturnieren oder ähnlichen festmachen. Dann muss man sich auch dort der Verantwortung stellen, wo es weniger angenehm ist, wo es vielleicht auch weh tut.
SCHALKE UNSER:
Herr Professor Feltes, vielen Dank für das interessante Gespräch. Glückauf.