(axt) Es sollte ein Fußballspiel werden. Am Ende mussten 87 verletzte Schalker behandelt werden. Eine war dem Tod näher als dem Leben. Schuld daran: die Polizei.
Es ist der 21. August 2013. Europa-League, ein Spiel, das niemand vergessen wird, der dabei gewesen ist. Es ging gegen PAOK Thessaloniki. Doch ein Risikospiel war es nicht. Dabei hatten die PAOK-Fans zugegebenermaßen eine unruhige Historie. Bei Rapid Wien war es zu Ausschreitungen gekommen, weshalb die UEFA den Verein zu drei Geisterspielen verurteilt hatte. Für die Polizei dennoch kein Grund, ein Risikospiel auszurufen. Und so wirklich besorgt war auch die UEFA nicht: Die Nacktzelte, die Schalke wieder einmal zum Einsatz hatte bringen wollen, strich der europäische Fußballverband auch.
Doch Pyrotechnik sollte nicht das Problem sein. Das Problem war ein rotes Stück Stoff, auf dem der Stern von Vergina zu sehen war. Lange noch hielt sich die Behauptung, auf der Fahne stünde ein volksverhetzender Inhalt. Die Mär schaffte es sogar noch in den Innenausschuss des Landtags NRW, in dem Polizeiminister Ralf Jäger das stur behauptete, bis ihm die Grünen etwas Kyrillisch beibringen konnten. Zu lesen war „Komiti Düsseldorf“, die Gruppe, mit der die Ultras Gelsenkirchen befreundet sind. Die Staatsanwaltschaft Essen brauchte etwas länger, die Fahne zu übersetzen, stellte aber klar fest: „Es liegt keine Volksverhetzung vor.“
Es war vor allem ein griechischer „szenekundiger Beamter“, der sich unrühmlich hervortat und immer wieder an jeden in seiner Nähe – UEFA-Beauftragte, Sicherheitsbeauftragten, aber auch Einsatzleiter Klaus Sitzer – herantrat, dort stünde etwas Volksverhetzendes. Immer wieder drängte er, aus welchen Motiven auch immer, die Fahne müsste weg. Sonst drohe ein Blocksturm der griechischen Fans. Über die Glaswand und den Graben hinweg durch das ganze Stadion zur Nordkurve. Mehrere Polizisten behaupten jedoch, 15 PAOK-Anhänger hätten genau das versucht.
Wer sich die TV-Aufnahmen von damals besieht, der findet allerdings im Gästeblock nur eines: griechische Fans, die sich selbst feiern. Provozierte Hooligans kurz vor dem Blocksturm sehen anders aus. Seit der zehnten Minute nervten und nörgelten die griechischen Polizisten, doch die Fahne hing – und kein griechischer Fan machte Anstalten loszustürmen. Aber gedroht damit hätten sie, handele es sich doch um eine Volksverhetzung.
Besser wusste es Schalke: Sicherheitsbeauftragter Volker Fürderer wies den Ordnungsdienst an, nichts zu unternehmen, da es sich nur um das Bekunden einer Fanfreundschaft handele. Doch die Polizei beharrte, Schalke müsse für das Abhängen sorgen. Schalke schickte seinen Fanbeauftragten los, um die Botschaft zu übermitteln. Vergeblich. Und ein zweites Mal ließ die Polizei den Fanbeauftragten in die Kurve tappern. Umsonst.
Die Halbzeitpause kam, die Fahne hing, die Griechen tummelten sich in ihrem Block und nichts war geschehen außer, dass ein deutscher Einsatzleiter immer drängender wollte, dass die Fahne aus der Nordkurve verschwand. Erneut sollten die Schalker bewogen werden, die Fahne abzuhängen. Schließlich hatte ein griechischer VIP-Gast auch gesagt, die Fahne sei volksverhetzend. Klaus Sitzer, der deutschen Rechtslage nicht bewusst und offensichtlich nicht in der Lage oder willens, selbige bei Wikipedia nachzuschlagen, blieb dabei: „Die Fahne muss weg.“
So schlappte der Fanbeauftragte ein drittes Mal in die Nordkurve, diesmal mit der Drohung in der Hand, dass die Polizei den Block stürme, wenn die Fahne nicht abgehangen werde. Auch das änderte nichts. Die Griechen blieben in ihrem Block, doch die Fahne hing weiter. Das wollte sich Sitzer nicht bieten lassen: Wenn der Versuch scheitere, werde eben die Nordkurve gestürmt. Und so kam es.
Von oben drang eine Hundertschaft in die Nordkurve ein und sollte so für Ablenkung sorgen; in einer vollen Nordkurve wurde dabei in Kauf genommen, dass Unbeteiligte verletzt werden konnten. Angeblich soll es eine Durchsage gegeben haben, dass man bitte die Gänge freihalten solle, damit die Polizei durchkomme. Nur hat diese niemand im Stadion gehört.
Eine zweite Hundertschaft sollte sich durch die Tunnel quasi anschleichen, um die Fahne vom Graben aus zu fassen. Doch weil jemand den Plan nicht gelesen hatte, stand man zunächst vor dem falschen Tunnel. So fand damit der Aufmarsch offen sichtbar statt.
Die Ultras brachten die Fahne in Sicherheit, so dass das Konzept scheiterte. Obwohl eigentlich das Ziel erreicht war, die angeblich so provozierende Fahne zu entfernen, brach die Polizei den Einsatz nicht ab: Das sähe wie eine Niederlage aus, hieß es in einem Funkspruch. Stattdessen gab es Schlagstock und Pfefferspray zu spüren – aus geringster Entfernung und ohne, dass es befohlen worden wäre. Zwei grobe Verstöße gegen die Vorschriften, die aber die Staatsanwaltschaft Essen später nicht interessieren sollte.
Das juristische Nachspiel hat etwas länger gedauert. Am Ende gab es Strafen für Fans, nicht aber für die Polizisten, die Helfern Wasser aus den Händen schlugen, auf Kinder eindroschen und Rettungssanitäter mit Pfefferspray bedachten. Die Staatsanwaltschaft stellte kurzerhand alle Verfahren ein (SCHALKE UNSER 87). Juristischer Widerstand: zwecklos.