Karikatur zum Kölner Keller

Der Tod des Torjubels

Kennt ihr, oder? Unübersichtliche Situation, dann wuchtet ein Blauer einen halbgar geklärten Ball von der Strafraumkante mit Volldampf in die Maschen. Tor! Gibt’s Einwände? Inzwischen gucken sich immer mehr Fans erstmal zweifelnd um: „War da was?“ „Ob Köln noch eingreift?“ „Die suchen doch bestimmt schon!“

Und plötzlich ist er unwiederbringlich verloren, dieser unschuldige Moment, in dem zwei Dinge fast simultan ablaufen: Der Ball sprengt die Regentropfen vom Tornetz und die Kurve explodiert. Diese Gleichzeitigkeit hat gelitten. Wir jubeln immer zeitversetzter!

Und das liegt an den notorisch übereifrigen Schiedsrichter-Klassensprechern aus dem Keller! Wie eine Monstranz tragen sie ihre aufgepumpte Wichtigkeit vor sich her, wenn sie mal wieder einige Anmerkungen wegen einer hauchzart wahrnehmbaren Stollen-Berührung haben. Ihretwegen wird der Torjubel einiger Fans bereits durch ein resignierendes „Ich glaub‘ noch nicht dran“ ersetzt.

Das ist wie mit dem toten Kanarienvogel in der Grube: Der Tod des Torjubels ist ein alarmierendes Zeichen dafür, dass etwas faul ist. Die Unmittelbarkeit des Spiels ist für Stadiongänger elementar. Deren magische Verbundenheit mit dem Augenblick aufzulösen, ist daher an intellektueller Bremsklotzigkeit kaum zu toppen. Denn hier geht es um nichts weniger als vor den Zug geworfene Fußball-Faszination!

Von alledem unbeeindruckt, reibt sich das Fernsehen die Hände. Dort verteidigen sie euphorisch ihr schönes Korinthenkacker-Lichtschwert namens „VAR“. Ist es nicht eine traumhafte „Produktanpassung“, dass sich Kommentatoren jetzt vor Video-Schiedsrichter-Eingriffen aufgekratzt an der Fahndung nach Minimalkontakten beteiligen können? Was für ein Geschenk an das Fernsehen! Live-Indiziensuche anhand von isoliert betrachteten Bewegtbild-Schnipseln.

Und so wird oft minutenlang ohne zwingenden Anlass das Spielgeschehen unterbrochen, während Fernsehen und Schiri-Keller die lähmende Emotions-Warteschleife mit Wichtigtuerei füllen. Jede nichtssagende Superzeitlupe wird aufgeregt an den Einzelbild-Gerichtshof verwiesen. „Ich sehe was, was keiner sieht, und das ist eventuell Rot.” Nach der inflationären Anberaumung solcher Back-and-Forth-Standbild-Paraden hat keine Menschenseele verlangt.

Also Schluss damit! Selbst wenn Kommentatoren ihren fernsehtauglichen Einzelbildmanövern wütende Tränen hinterherweinen sollten. Beendet diese auf die Spitze getriebene Voice of God-Farce! Und beschränkt die regelkonforme Beeinflussung von Spielverläufen auf das Unumgängliche!

Allwöchentlich strapaziert irgendwo ein allzu detektivischer Video-Schiedsrichter seine Deutungshoheit und schwingt sich zum ungebetenen Protagonisten eines Fußballspiels auf. Dabei wird von ihm eher maßvolleres Dazwischengrätschen erwartet, damit das Echtzeit-Stadionerlebnis der Fans nicht im gegenwärtigen Ausmaß beeinträchtigt bleibt.

Eingriffe des Kölner Kellers ziehen ihre Akzeptanz aus absoluter Eindeutigkeit. Einer Eindeutigkeit, der sich selbst die eiferndsten Anwälte der eigenen Farben vorbehaltlos unterwerfen. Fehlt diese unabweisbare Eindeutigkeit, wird eher ein Streitfall eröffnet, als eine klare Fehlentscheidung korrigiert. Wem soll eine solche Intervention dienen? Daumen hoch oder Daumen runter? Aus Sicht vieler Fußballfans lautet die Antwort längst: Überflüssige Einmischungen vermeiden!

Es fühlt sich an, als hätten wir ein Spiele sezierendes Monster erschaffen, das geltungsfreudig seinen erweiterten Einfluss auf die Fußball-Dramaturgie nutzt. Und das nach jeder willkürlichen Interpretation verkündet: „Ich kann mit dem Regelbuch unter dem Arm selbst die unplausibelste Entscheidung schlüssig im Sinne der Spielregeln verargumentieren!“ Na toll! Dabei wäre doch gar nichts gegen die Korrektur schierer Ungerechtigkeit oder die Rückabwicklung grober Schnitzer des Feldschiedsrichters einzuwenden. Eine Reform des Video-Schiedsrichters könnte etwa die simple Frage umfassen, ob es überhaupt Klärungsbedarf am Ort des Geschehens gibt. Es heißt schließlich nicht: „Die Wahrheit liegt im Keller!”

Die Wahrheitssuche im Untergeschoss mag vielfach zweckdienlich gewesen sein, doch ihre Auswüchse haben der Akzeptanz unparteiischer Entscheidungen zugleich massiv geschadet. Eitles Beharren auf letztinstanzlicher Entscheidungshoheit von außen erzeugt zunehmend wegwerfende Handbewegungen und tötet den Torjubel.
Der Fußball der Fankurven ist Pedanten in die Hände gefallen. Und die rutschen mit dem Maßband am Monitor hin und her. Sie wollen nichts mehr von „gleicher Höhe“ hören und halten ihren Kindern vermutlich ausufernd lange Vorträge darüber, warum die Aussage „die Zahl PI ist ungefähr 3,14159“, so ja nun nicht exakt zutrifft.

Immerhin: Zweimal zappelte der Ball in dieser Saison schon im Netz, wo man alle Vorsicht fahren lassen konnte und ekstatisch jubelte! Weil es an den beiden wunderbaren „Toren des Monats“ nun wirklich nichts herumzudeuten geben konnte: Bültis Volley in Berlin und Rodrigos Kracher in Köln.

Äh, … WAIT!

SCHALKE UNSER 108

Diese Ausgabe ist ganz sicher nicht zum Wegwerfen, auch wenn wir uns das neue Pfandsystem in der Arena genauer angeguckt haben. Das könnt ihr euch zum Heimspiel gegen Stuttgart angucken. Also, das Heft natürlich. Und unseretwegen auch die Pfandbecher.

Und außerdem haben wir unter anderem für euch in der Ausgabe:

3 Kommentare zu „Der Tod des Torjubels“

  1. „Der Wahnsinn hat Methode“ fällt mir dazu nur ein! Die Schiedsrichter sollten einfach mal das existierende Regelwerk zur Anwendung bringen! Nahezu vor jeder Saison wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Preisfrage: Bis zum heutigen Tag hat nur ein Spieler der 1. Fußballbundesliga die Gelbe Karte erhalten, weil er zum Initiator einer Rudelbildung wurde. Na?! Wir können mit Stolz darauf verweisen, dass es ein Schalker war! Gustavo Varela beim Spiel des S04 beim TSV 1860 München. Ja, lange ist es her und seitdem nie wieder passiert, obwohl sich Gleiches jeden Samstag erneut zuträgt… Fußball hat mal Spaß gemacht, aber der bleibt offensichtlich immer mehr auf der Strecke. Um das zu empfinden, muss den Fußball noch in seiner Ursprünglichkeit erlebt haben dürfen.

  2. Dr.Hansgeorg Pinta

    Ich finde, das Spiel wird durch diese technischen Möglichkeiten zerstört. Eine Messlatte, die misst, ob ein kleiner Finger des Torschützen im Abseits war, braucht wirklich niemand.

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