(il/dol/th) Seine Lehrjahre hat Jermaine Jones in seiner Geburtsstadt verbracht, wo ihm die Herzen der Frankfurt-Fans lange nur so zugeflogen sind – trotz oder wegen seines „Bad Boy“-Images, gepaart mit einer gehörigem Portion Talent. Der plötzliche Abgang zu Schalke sorgte bei den Eintrachtlern für viel Irritation. Weniger die Tatsache eines Vereinswechsels hatte die Gemüter erzürnt, sondern die Art und Weise des Geschehens. Der Mut des Jermaine Jones, sich neben den Fragen des SCHALKE UNSER auch den Fragen des FAN GEHT VOR zu stellen, ist beachtenswert, schließlich begleitet dieses Fanzine die Eintracht aus Frankfurt seit 163 Ausgaben und kennt – fast – jedes Detail. An dem Sonntagmittag vor dem Rückspiel gegen Barcelona eröffneten die Hessen nach fast drei Stunden Wartezeit das erste Fanzine-übergreifende Spieler-Interview der Liga, das parallel in zwei Fanzines veröffentlicht wird.
FAN GEHT VOR:
Warum, meinst du, sind die Eintracht-Fans sauer auf dich?
JERMAINE JONES:
Mir wird nachgesagt, dass ich in gewissen Situationen nicht korrekt gehandelt hätte. Sie sehen es so, ich sehe es anders, und deswegen ist es mir im Endeffekt wurst, ob sie sauer sind.
FAN GEHT VOR:
Weißt du auch, warum viele Eintracht-Fans dich nicht mehr „Jermaine Jones“, sondern „NADW“ nennen?
JERMAINE JONES:
„Nichts Als Die Wahrheit“ – das war damals im Internet-Forum meine Thread-Überschrift und das war die Wahrheit. Ich hatte das erste Gespräch mit Frankfurt mit Herrn Bruchhagen. Es gab keine Verhandlungen mit anderen Vereinen und keinen Vorvertrag mit Schalke. Im Sommer hatte ich gar keinen Vertrag, war vertragsfrei und habe erst kurz vor Saisonbeginn unterschrieben, nachdem die medizinische Abteilung von Schalke mir die Bundesliga-Tauglichkeit attestiert hatte.
FAN GEHT VOR:
Wie würdest du dein Verhältnis zu den anderen Spielern der Eintracht in deiner Zeit am Main beschreiben? Das Hinrundenspiel zwischen der Eintracht und Schalke im letzten Dezember war ja eine sehr hitzige Angelegenheit – bezogen auf die Spieler.
JERMAINE JONES:
Ich hatte ein gutes Verhältnis zu den meisten Spielern. Nicht die Spieler, sondern der Frankfurter Fanbeauftragte hat die Stimmung in den Medien angeheizt. Es ist klar, dass ich jetzt versuche, die Punkte für Schalke zu holen, die Frankfurter für Frankfurt, und da gerät man schon mal aneinander.
FAN GEHT VOR:
(lächelnd) Das lassen wir jetzt mal so stehen …
SCHALKE UNSER:
Auf Schalke ist dein Verhältnis zu den Fans – hoffentlich auch dauerhaft – besser. Du kommst als Typ gut an und spielst so, als ob du dich sehr wohl fühlen würdest.
JERMAINE JONES:
Klar, ich fühle mich wohl, bin gut aufgenommen worden. Am Anfang war noch Skepsis dabei wegen der vielen Verletzungen, aber ich bin jetzt so topfit wie ich noch niemals war, und das sieht man auch auf dem Platz.
SCHALKE UNSER:
In der Presse hieß es, du habest „Glasknochen“. Daher rührten die vielen Knochenverletzungen. Was ist denn da der aktuelle Stand?
JERMAINE JONES:
Das ist ein Thema, das über die Medien gekommen ist. Wer sich mit Glasknochen auskennt, weiß, dass ich damit nicht Fußball spielen würde. Hier habe ich Zeit bekommen, meine Verletzungen auszukurieren, musste halt nicht wieder ruckzuck auf den Platz. Das war ein Fehler, den ich in Frankfurt oft gemacht habe. Ich möchte nicht sagen, dass die medizinische Abteilung in Frankfurt schlecht war, aber hier sind die Möglichkeiten einfach besser. Jeder kümmert sich noch professioneller um mich und ich bekomme die Zeit, die ich brauche. Die Folge ist, dass ich so lange gesund geblieben bin.
SCHALKE UNSER:
Du kommst aus Frankfurt, ursprünglich auch nicht aus der besten Ecke der Stadt. Gelsenkirchen ist damit in bestimmten Punkten vergleichbar. Was bekommst du von der Stadt und der Stimmung hier mit, hattest du Stadtführungen?
JERMAINE JONES:
Führungen hatte ich nicht, aber am Anfang, als meine Familie noch im Taunus lebte, war ich häufiger in Gelsenkirchen und bin sehr freundlich aufgenommen worden. Mir ist hier noch nichts Negatives aufgefallen. Jetzt lebe ich mit meiner Familie etwas außerhalb in Schermbeck und wir fühlen uns pudelwohl.
SCHALKE UNSER:
Hast du Rassismus im Alltag erlebt, sei es in deiner Frankfurter Zeit oder hier, obwohl du natürlich inzwischen bekannt bist?
JERMAINE JONES:
Hier nicht und in Frankfurt auch nicht. Dort hast du einen sehr hohen Anteil von Ausländern, viele aus Eritrea. Allein in der Siedlung, in der ich aufgewachsen bin, lebten fast nur Farbige. Wir hatten nie Probleme, vor allem nicht, wenn wir in einer Gruppe von sechs, sieben Leuten unterwegs waren.
SCHALKE UNSER:
Kriegst du als alter Hip Hop-Fan die Szene hier im Ruhrgebiet mit? Gehst du ab und zu auf unsere Konzerte?
JERMAINE JONES:
Hier schaffe ich das kaum. In Frankfurt war ich häufiger auf Konzerten. Wenn ich mich hier informiere, dann meistens über Christian Pander, der wesentlich mehr mit Musikern zu tun hat.
SCHALKE UNSER:
Du hast eine Werbung gemacht, in der du dich als Dosen-Kicker darstellst und bei der man ein Training mit dir gewinnen kann. Hast du mal darüber nachgedacht, dich sozial oder ehrenamtlich zu engagieren, zum Beispiel beim Streetkick oder der Förderung von Talenten, die auch aus kleinen Verhältnissen stammen?
JERMAINE JONES:
Das könnte in der Zukunft irgendwann mal passieren, aber jetzt versuche erst mal, mich auf den Fußball zu konzentrieren. In der Vergangenheit war ich zu häufig verletzt, um mir darüber Gedanken zu machen. Zwar hatte man mir auch die Mitarbeit in der Frankfurter Fußballschule vom Uwe Bindewald angeboten, aber da war ich vom Kopf her nicht so frei.
SCHALKE UNSER:
Du bist jetzt 26. Hast du schon Vorstellungen entwickelt, was du später tun willst? Dein Traum wäre es, mal für einen englischen Verein zu spielen, habe ich gelesen.
JERMAINE JONES:
Das war schon immer so. An England reizt mich vor allem das schnelle Spiel, das Niemals-aufgeben und das Kämpferische. Spanien wäre auch sehr reizvoll, man weiß nie was kommt. Aber jetzt fühle ich mich hier sehr wohl und wir müssen schauen, dass wir weiter in der Champions League bleiben. Gegen Ende der Karriere würde ich gerne nach Amerika gehen, dort noch zwei Jahre spielen und mir mit der Familie dort etwas aufbauen. Konkrete Vorstellungen habe ich noch nicht entwickelt.
SCHALKE UNSER:
Apropos Amerika. Hast du inzwischen Kontakt zu deinem Vater?
JERMAINE JONES:
Wir haben seit letzten November wieder Kontakt. Am Anfang war’s ein bisschen schwierig. Wir haben über Computertelefon miteinander gesprochen und uns nach fast zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder gesehen. Im Winterurlaub haben wir uns dann in Miami getroffen, er kam aus Kalifornien angereist. Er ist älter geworden, ich bin älter geworden. Seitdem ist der Kontakt zwischen uns wieder ganz gut.
SCHALKE UNSER:
Ist er stolz auf dich? Fußball ist für Amerikaner doch nur ein „Mädchensport“.
JERMAINE JONES:
Ja, das er hat am Anfang auch gesagt. Wenn ich damals mit nach Amerika gegangen wäre, hätte ich wahrscheinlich Football oder Baseball gespielt. Demnächst wird er allerdings vorbeikommen und will sich unbedingt ein Spiel anschauen.
SCHALKE UNSER:
Du hast nach sehr kurzer Zeit den Spitznamen „Kampfschwein“ bekommen, den schon jemand anders getragen hat. Empfindest du das als Ehre oder wie denkst du darüber?
JERMAINE JONES:
Am Anfang war es ungewohnt für mich, damit umzugehen, aber dann haben Mannschaftskollegen mich aufgeklärt, wie sich Marc Wilmots seinen Spitznamen erarbeitet hat. Respekt. Ich weiß natürlich auch, dass der Name mit einer Verpflichtung verbunden ist. Am Anfang war es ein bisschen komisch, mittlerweile bin ich extrem froh darüber und versuche, das bei den Spielen zurückzugeben.
SCHALKE UNSER:
Wie fühlt man sich, wenn man den entscheidenden Elfmeter verwandeln will und genau weiß, dass man im nächsten Spiel nicht dabei ist? Spielt das eine Rolle?
JERMAINE JONES:
Nein, du gehst zu dem Elfmeter hin, bist ganz in deinem Element und versuchst, den Ball reinzumachen. Die Unterlatte war natürlich nicht beabsichtigt.
SCHALKE UNSER:
Wir bedanken uns für deine Zeit und deine Offenheit. Glück Auf!