(rk/usu) Nach dem 6:1-Rückspielsieg gegen HJK Helsinki trafen wir einen bestens gelaunten Ralf Fährmann. Wir sprachen mit unserer neuen Nummer Eins über Christoph Daum, seine Jugend in Gelsenkirchen und über „seine“ Heimat.
SCHALKE UNSER:
Ralf, du bist 1988 in Chemnitz, der damaligen Karl-Marx-Stadt, geboren und schon als Jugendlicher nach Schalke gekommen. Wie kam es dazu?
RALF FÄHRMANN:
Ja, ich bin mit 14 Jahren von Chemnitz nach Gelsenkirchen ins Fußball-Internat gewechselt, an dem ich auch mein Fachabitur gemacht habe. Ich hatte damals schon Angebote von einigen Bundesligisten, weil man in der Sachsen-Auswahl und in der Jugend-Nationalmannschaft auf mich aufmerksam geworden ist. In meiner Schalker Jugendzeit habe ich dann auch alle U-Nationalmannschaften durchlaufen und mit dem Weggang von Frank Rost wurde ich in den Profikader „hochgezogen“ und war dann zweiter Mann hinter Manu. Gleich zu Beginn hatte ich mich dann leider noch schwer verletzt: ein Sehnenabriss, der mich sieben Monate außer Gefecht gesetzt hat. Doch ich habe mich zurück gekämpft und dann ja auch ein paar Spiele gehabt. Aber meine Perspektive war damals nicht ganz so gut, da jeder davon ausgegangen ist, dass Manu noch mindestens die nächsten zehn Jahre bleibt. Keiner ahnte damals, dass er eine solche Bombenentwicklung in der kurzen Zeit durchmachen würde. Und so habe ich mich dann für Eintracht Frankfurt entschieden, um Spielpraxis und Erfahrung zu sammeln. Jetzt ist Manu gewechselt und ich profitiere davon.
SCHALKE UNSER:
Du hast Frank Rost angesprochen. War er so etwas wie ein Vorbild für dich, auch weil er wie du aus den neuen Bundesländern stammt?
RALF FÄHRMANN:
Ja, das ist sicher so. Das war schon zu Chemnitzer Zeiten so, aber nicht nur, weil er wie ich auch aus den neuen Bundesländern kommt, sondern er hat mir immer von seiner Art her sehr imponiert. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, ist ein richtiger Charakterspieler, der sagt, was er denkt, und immer Vollgas gegeben hat. Auch zum Ende seiner Karriere hat er sich nie hängen lassen, jeden Tag seinen inneren Schweinehund überwunden. Das kam auch bei den Fans gut an, genauso auf Schalke wie auch in Hamburg. Und das imponiert mir auch, da kann ich mich gut mit identifizieren.
SCHALKE UNSER:
Du hast mal in einem Interview gesagt, dass sich das Training in Frankfurt zu dem auf Schalke grundsätzlich unterscheidet.
RALF FÄHRMANN:
Frankfurt und Schalke kann man eigentlich nicht direkt miteinander vergleichen. Wenn man sich allein das Umfeld in Gelsenkirchen anschaut, das ist schon führend in Deutschland. Dementsprechend sind auch die ganzen Bedingungen: Trainingsplatz, Parkstadion, Geschäftsstelle, dazu das Medicos, wo wir exzellente Trainings- und Reha-Bedingungen haben. Das ist hier alles auf dem allerneuesten Stand und man erhält die besten Voraussetzungen, das Maximum aus sich herauszuholen. Und wir haben hier Personal-Trainer. Das macht viel aus, ob ich alleine trainiere oder bei jedem Training direkt angeleitet werde. Da liegen dann für einen selbst auch Welten dazwischen, daher bin ich auch froh, wieder hier zu sein.
SCHALKE UNSER:
Nun hattest du mit Christoph Daum einen Trainer, um den sich viele Legenden ranken.
RALF FÄHRMANN:
Komisch, alle müssen dabei schmunzeln, die mich danach fragen. Ja, klar, er hat halt eine bewegte Vergangenheit, aber davon haben wir überhaupt nichts mitbekommen. Ich kann nur sagen, dass ich ihn als Typ sehr geschätzt habe und auch viel von ihm lernen konnte. Er kommt sehr über die psychologische und taktische Schiene, aber er ist im positiven Sinne „fußballbekloppt“, auch wenn er vielleicht manchmal über das Ziel hinausschießt. Ich hab sehr geschätzt, dass er sich immer wieder Gedanken gemacht hat, wie man die Mannschaft motivieren kann, auch wenn wir nicht über heiße Kohlen laufen oder Weihwasser trinken mussten.
SCHALKE UNSER:
Du hast gerade die Trainer verglichen, vergleiche doch nun mal die Fanszenen von Schalke und Frankfurt.
RALF FÄHRMANN:
Frankfurt hat natürlich auch eine immens große Fangemeinde, insbesondere bei den Ultras. Aber einen ganz deutlichen Unterschied habe ich schon ausgemacht. In Schalke gibt es eine Beziehung zwischen den Fans und der Mannschaft, die ist spürbar und greifbar. Hier kommen Spieler nach dem Spiel in die Nordkurve und wir stimmen Gesänge über das Megaphon an, das hat es in Frankfurt nie gegeben. Man merkt natürlich schon, dass Frankfurt auch eine finanziell stärkere Stadt ist als Gelsenkirchen. Das färbt auch auf die Stimmung ab. Misserfolge werden da viel schneller bestraft, die Stimmung kann schnell kippen. Auf Schalke spürt man die Malochermentalität, hier werden erst einmal die Ärmel hochgekrempelt bevor die Stimmung wirklich kippt. Diesen Zusammenhalt spürt man auch auf dem Platz, das ist gar keine Frage.
SCHALKE UNSER:
Im Abstiegskampf gab es ja dann auch einige Fanattacken seitens der Eintracht-Fans.
RALF FÄHRMANN:
Das haben wir natürlich hautnah mitbekommen. Nach dem Mainz-Spiel hat die härtere Szene der Eintracht-Ultras auf uns Spieler vor den Stadiontoren gewartet und es war eine ungemein aggressive Stimmung. Die Polizei war mit Hunde- und Pferdestaffeln vor Ort und musste sogar Warnschüsse abgeben. Wir wollten ja mit den Fans sprechen, aber die Stimmung war so aufgeheizt, dass gar kein Austausch möglich war. Drei Stunden saßen wir am Stadion fest, bis sich die Situation wieder beruhigt hatte und wir nach Hause fahren konnten.
SCHALKE UNSER:
Die Fans waren richtig sauer.
RALF FÄHRMANN:
Ja, klar, absolut nachvollziehbar, schließlich haben wir eine katastrophale Rückrunde gespielt. Aber letztlich habe ich selbst von dieser Erfahrung profitiert. Sowohl sportlich als auch persönlich, denn der Druck eines Abstiegskampfes ist schon enorm, den wünsche ich niemandem. Aber wenn man das mal durchgemacht hat, kann man daran reifen. Trotzdem bin ich jetzt froh, wieder zu Hause zu sein.
SCHALKE UNSER:
Wieder zu Hause. Was bedeutet das für dich, denn eigentlich bist du ja wie eingangs erwähnt in Chemnitz geboren?
RALF FÄHRMANN:
Genau, geboren in Chemnitz, aber groß geworden und aufgewachsen in Gelsenkirchen. Ich habe damals auf mein Bauchgefühl gehört und bin als Jugendlicher nach Schalke gegangen, getrennt von den Eltern, die weiterhin in Sachsen wohnten. Mein damaliger B-Jugendtrainer war Manni Dubski, der mich auch mal – wenn mein Heimweh zu groß war – zu meinen Eltern fahren ließ, obwohl wir ein Spiel hatten. Mit 14 Jahren ist man eben noch nicht so selbständig, dass man auf den eigenen Füßen steht und seine Eltern nur zweimal im Jahr sehen kann. So war ich ungefähr einmal im Monat bei meinen Eltern und ab und zu kamen meine Eltern mich auch hier besuchen. Das hat es mir am Anfang schon einfacher gemacht. Sportlich lief es bestens, wir sind Deutscher Meister mit der A-Jugend geworden und haben den Westfalenpokal gewonnen. Aber auch abseits des Platzes bin ich hier natürlich groß geworden: die ersten Discobesuche, die erste Freundin. Das sind alles schöne Erlebnisse gewesen, die ich nicht vergessen werde. Mit meiner damaligen Internatsmutter habe ich heute noch einen engen Kontakt, auf der Schalker Geschäftsstelle kenne ich jeden Flecken, und das sind alles Sachen, bei denen ich sagen kann: „Ich erlaube mir, hier von Heimat zu sprechen, obwohl ich hier nicht geboren bin.“
SCHALKE UNSER:
Uns ist übrigens noch etwas aufgefallen. Seitdem du wieder zurück bist, guckst du dich vor jedem Abschlag noch mal mehrfach um. Ganz auffällig war dies im Supercup gegen Lüdenscheid. Könnte das was mit Raúl zu tun haben?
RALF FÄHRMANN:
Die Frage höre ich nicht zum ersten Mal. Ja klar, das hat noch mit Raúl zu tun. Ich habe damals im Spiel nur aus dem Augenwinkel geblickt, aber ich habe ihn einfach nicht gesehen. Das alte Schlitzohr hat mir dann den Ball einfach weggespitzelt. Und so etwas prägt sich natürlich ein. Heute drehe ich mich lieber einmal zu viel um als zu wenig. Ich hab auch schon mal scherzhaft gesagt, dass ich mich bestimmt im Grab noch nach Raúl umdrehen werde. Na ja, heute kann ich darüber lachen, damals war es nicht ganz so lustig für mich.
SCHALKE UNSER:
Hast du mit Raúl noch mal darüber sprechen können?
RALF FÄHRMANN:
Ja, sicher, manchmal macht er da noch seine Scherze mit mir.
SCHALKE UNSER:
Sprichst du denn Spanisch?
RALF FÄHRMANN:
Wir verständigen uns in einem Mischmasch aus Englisch, Deutsch und „Fußballerisch“. Aber Raúl versteht auch sehr gut Deutsch. Ich weiß nicht, ob er das richtig lernt oder einfach ein Sprachtalent ist, aber Deutsch versteht er ziemlich gut. Zumindest das, was er will
SCHALKE UNSER:
Ralf, du hast das Image, dass du immer sehr nett und höflich bist.
RALF FÄHRMANN:
Ich bin nun mal eher der ruhige, nette Typ. Horst Heldt hat von mir auch schon gefordert, ich sollte „arroganter“ werden. Das wurde von den Medien natürlich auch wieder etwas aufgebauscht. Was er meint, ist, dass ich auf dem Platz auch mal etwas lauter werden und dirigieren sollte. Aber ich bin sicher nicht der Typ, der auf einen Abwehrspieler, der vielleicht einen Stellungsfehler begangen hat, zurennt und ihn hin- und herrüttelt. Ich versuche da mehr Ruhe auszustrahlen und auch an die Mitspieler weiter zu geben. Es bringt auch nichts, wenn ich versuche, mich zu verstellen und krampfhaft eine andere Person zu sein. Wichtig ist, dass ich authentisch bleibe, nur so fühle ich mich wohl und kann meine beste Leistung bringen.
SCHALKE UNSER:
Es wäre ja auch schlimm, wenn jeder Torwart ein Abbild von Olli Kahn wäre.
RALF FÄHRMANN:
Olli Kahn war ein Weltklassetorwart, aber in manchen Szenen auch nah am Wahnsinn.
SCHALKE UNSER:
Aber er wäre hier fast Manager geworden.
RALF FÄHRMANN:
Ich bin mir nicht sicher, ob das gepasst hätte.
SCHALKE UNSER:
Ja, aber das sind alles Geschichten, die dieser Verein schreibt. Genauso wie jetzt dieser Wunderheiler, der den Verein verklagt hat, weil er angeblich das von ihm georderte Weihwasser nicht bezahlt hätte. Was uns zu der Frage führt: Die letzten Spiele habt ihr immer erst nach der Pause gedreht. Was also ist in eurem Pausentee?
RALF FÄHRMANN:
Das „Wieso, Weshalb, Warum“ lässt sich nicht immer so leicht beantworten. In der Halbzeitpause gibt uns der Trainer Anweisungen, sagt uns, was wir gut und was wir schlecht gemacht haben und natürlich, wie wir es besser machen können. Doch das macht er vor dem Spiel auch, so dass das auch nicht als Erklärung reicht. Doch wir sind noch eine sehr, sehr junge Mannschaft. Da kann es in den 90 Minuten schon mal rauf und runter gehen und etwas hektischer werden. Ich denke, wenn wir mehr Routine entwickelt und Spielpraxis gesammelt haben, werden wir in vielen Situationen eine gewisse Coolness an den Tag legen. Man kann nicht von heute auf morgen den Schalter umlegen, aber wir sind uns sicher, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind.
SCHALKE UNSER:
Apropos junge Spieler: In der Bundesliga gibt es einen neuen Trend für junge Torhüter: Ron-Robert Zieler, Marc-André ter Stegen, Kevin Trapp, Thomas Kraft, Michael Rensing, Ralf Fährmann.
RALF FÄHRMANN:
Früher hat man vielleicht gesagt, dass es erfahrene und unerfahrene Torhüter gibt, und heute eher, dass es gute und weniger gute Torhüter gibt. Aber ich denke auch, dass jetzt ein Generationswechsel stattfindet: Olli Kahn, Jens Lehmann, Frank Rost haben ihre Bundesligalaufbahn beendet und jetzt folgt quasi die nächste „Welle“. Mir ist das auch egal, wie viele junge Torhüter es gibt. Wenn ich spiele, ist alles okay.
SCHALKE UNSER:
Nun ist ja in der jüngsten Vergangenheit die Mannschaft von Schalke 04 mehrfach umgebaut worden. Spieler kommen, Spieler gehen. Wie geht ihr damit um, dass es da ständig Wechsel im Team gibt?
RALF FÄHRMANN:
Ich habe erst kürzlich mit Benedikt Höwedes darüber gesprochen. Wir waren vor dem Rückspiel gegen Helsinki in einem Hotel untergebracht, indem wir das letzte Mal vor zwei Jahren waren, außer Benny, einem unserer Physios und mir, kannte das Hotel aber niemand. In solchen Momentan wird einem das erst mal richtig bewusst. Aber auch hier hat es einen Generationswechsel gegeben und der Trainer baut eine neue Mannschaft auf. Hoffen wir, dass wir schnellstmöglich umsetzen können, was der Trainer uns vermittelt.
SCHALKE UNSER:
Das hoffen wir mit euch, vielen Dank für das Gespräch und Glückauf.