(rk/kh) Eigentlich hatten wir ja als Überschrift „Ein Tor für die Ewigkeit“ vorgesehen. Jeder hätte dann sofort gewußt, daß es sich bei unserem Interviewpartner nur um den großen GÜNTER SCHLIPPER handeln kann. Aber sein Werdegang kann und darf wahrlich nicht auf den einen Treffer am 22.8.92 reduziert werden. Es ist still geworden um den begnadeten Ballkünstler, dem man den brasilianischen Spitznamen ‚Schlippinho‘ verlieh. SCHALKE UNSER besuchte ihn in seiner alten und neuen Heimat Oberhausen.
SCHALKE UNSER:
Günter, man hat lange nichts mehr von dir gehört, was machst du eigentlich zur Zeit?
GÜNTER SCHLIPPER:
Ich bin jetzt Spielertrainer beim Landesligisten Blau-Weiß Oberhausen-Lirich. Ich komme ja aus diesem Verein, habe hier bereits mit sieben Jahren angefangen, Fußball zu spielen. Mit 19 oder 20 Jahren bin ich hier weggegangen, war ein Jahr in Altenessen und bin dann beim MSV Duisburg, bei Rot-Weiß Oberhausen, Köln, Schalke und danach noch mal kurz in Oberhausen gewesen. Dann habe ich gut zwei oder drei Jahre früher als geplant den Schritt zurück gemacht. Ich hatte das zwar immer mal vor, aber vielleicht hätte ich das sonst mit 34 oder 35 Jahren gemacht. Jetzt sind es zwei Jahre früher, aber das ist auch nicht schlimm, da kann ich auch mit leben.
SCHALKE UNSER präsentiert den original Schlippinho-Cocktail
1 Old Fashioned Glas (Whisky-Glas)
1 Limette achteln und hineingeben
1 Löffel Zuckerrohrzucker
2 cl Dry Orange Curacao
5 cl GinDas Ganze durchrühren, vermengen und anschließend mit Crushed Ice auffüllen, fertig ist der Cocktail, der Dich schwindlig spielt.
Wer die Zutaten für den Schlippinho-Cocktail nicht in seiner Hausbar findet, kann sich auch nach Gelsenkirchen ins Cafe Arminstrasse begeben und sich dort das edle Getränk bestellen. Aber bestimmt vorher jemanden, der nüchtern bleibt!
SCHALKE UNSER:
Von dem Lohn eines Landesligisten kann man nicht leben. Was machst du denn heute hauptberuflich?
GÜNTER SCHLIPPER:
Ich habe hier im Mai ein Bistro eröffnet, im Zentrum von Oberhausen. Ansonsten mache ich mich aber auch nicht verrückt.
SCHALKE UNSER:
Hast du heute noch Kontakt zu Schalke oder zu Schalker Spielern?
GÜNTER SCHLIPPER:
Zum Beispiel zu Egon Flad. Als er bei Tennis Borussia Berlin gespielt hat, habe ich ihn auch häufiger besucht. Mit Holger Gehrke spiele ich zusammen im selben Tennisclub. Hin und wieder spreche ich auch noch mit Jürgen Luginger oder Uwe Leifeld. Zu den aktuellen Spielern habe ich aber keinen Kontakt mehr. Seitdem ich Schalke verlassen habe, habe ich auch kein Spiel mehr im Parkstadion gesehen. Es war eine sehr schöne Zeit, aber eigentlich ist Lirich mehr mein Zuhause.
SCHALKE UNSER:
Was war denn das schönste Erlebnis deiner Karriere?
GÜNTER SCHLIPPER:
Sportlich gesehen war natürlich die schönste Zeit auf Schalke. Vor allen Dingen das Jahr, als wir aufgestiegen sind. Das war einmalig, als wir da vor 45.000 bis 50.000 Zuschauern gegen Havelse gespielt haben. Das ist ja auch nicht normal, andere würden da vor 2 500 spielen. Am Anfang ist das schon phänomenal, aber nach ein paar Jahren ist dann schon mehr Routine dabei, dann hat man sich daran gewöhnt.
SCHALKE UNSER:
Du hast einige Vereine in deiner Fußballaufbahn kennengelernt. Was meinst du, unterscheidet Schalke von anderen Fußballclubs?
GÜNTER SCHLIPPER:
Es ist schon etwas ganz anderes als zum Beispiel in Köln. Gut, da waren auch manchmal 30 000 oder 40 000 Zuschauer, aber irgendwie kann man das nicht vergleichen. Auf Schalke war aber der Druck auch viel größer. Als ich dort ankam, mußte ich im linken defensiven Mittelfeld spielen, wußte überhaupt nicht, wo ich hinlaufen sollte, und habe am Anfang nur auf die Mütze gekriegt. Als ich dann zentral spielen konnte, die Position, die mir am meisten liegt, klappte es ja auch ganz gut.
SCHALKE UNSER:
Beim Namen Günter Schlipper denken die meisten Schalker zuerst an dein Tor zum 1:0 in Dortmund, als du Stefan Reuter und Stefan Klos so unnachahmlich vernascht hast. Träumst du noch manchmal von diesem Tor?
GÜNTER SCHLIPPER:
Nein, eigentlich gar nicht mehr. Damals war das natürlich großartig, aber wenig später fingen ja auch die Probleme an. Als dann der Helmut Schulte kam, wußte ich schon beim ersten Training: Deine Zeit ist hier vorbei, der Mann kann nicht dein Freund werden. Vor dem Lattek hatte man ja noch Respekt, aber wenn ich diese Gurke vor mir gesehen habe, konnte ich nur den Kopf schütteln. Wir mußten uns am Anfang immer eine halbe Stunde warmlaufen, alles ohne Ball! Dazu kam dann noch das Theater um die Vertragsverlängerung meines besten Kollegen, Egon Flad, dem sie einen Hungervertrag geben wollten, um ihn nicht ganz abzuschieben. Das ganze Geschäft hat mir am Ende nicht mehr so zugesagt.
SCHALKE UNSER:
Aber Ärger gab es doch auch schon vorher wegen deiner zwei Roten Karten?
GÜNTER SCHLIPPER:
Deswegen hatte ich ja auch ein wenig Streß mit Udo Lattek. Als ich den zweiten dummen Platzverweis bekam, wußte ich in der nächsten Sekunde, was auf mich zukam. Da hätte ich auch vor Wut heulen können!
SCHALKE UNSER:
Könntest du dir vorstellen, noch einmal in den bezahlten Fußball zurückzukehren?
GÜNTER SCHLIPPER:
Nein, absolut nicht. Ich muß ehrlich sagen: Ich hätte keine Lust mehr, mich konditionell so zu quälen. Denn das Wichtigste ist: Der Kopf muß es wollen, und das wäre nicht der Fall. Wenn man einmal bei Schalke gespielt hat, ist man natürlich auch ein wenig verwöhnt. Und dann noch mal, zum Beispiel bei Fortuna Köln vor 700 Zuschauern zu spielen, das muß ja dann auch nicht sein. Deshalb bin ich auch hier nach Lirich gegangen, denn in der Oberliga oder Regionalliga hieße es dann: „Der hat mal bei Schalke gespielt”, und schon werden Wunderdinge von einem erwartet. Deshalb mache ich lieber das hier aus Spaß. Für die Landesliga reicht es allemal noch, und ich habe keine Probleme damit.
SCHALKE UNSER:
In der Saison, die zum Aufstieg führte, wollten dich einige Journalisten sogar in der Nationalmannschaft sehen. War das überhaupt einmal ein Thema für dich?
GÜNTER SCHLIPPER:
Ach nein, das gab es ja überhaupt nicht, als Zweitligaspieler in der Nationalmannschaft. Da muß man schon konstant vier oder fünf Monate am obersten Limit spielen.
SCHALKE UNSER:
Verfolgst du heute noch das Geschehen in der Bundesliga?
GÜNTER SCHLIPPER:
Ja sicher, „ran” oder das Topspiel bei „premiere” schaue ich mir meistens an. Obwohl ich finde, daß „ran” zu sehr eine richtige Klatsch- und Tratschsendung geworden ist. Und dauernd diese Werbeunterbrechungen! Außerdem versuchen viele Pressereporter, unter allen Umständen aus den Spielern etwas Negatives herauszubekommen, was dann Schlagzeilen bringen könnte. Wenn ich nur daran denke, wie die Geschichte mit Mehmet Scholl und Otto Rehhagel ausgeschlachtet wurde.
SCHALKE UNSER:
Mit dir hat die Bundesliga einen „Typen“ verloren. Was hältst du von einem Vergleich mit Mario Basler?
GÜNTER SCHLIPPER:
(lacht) Ich weiß nicht. Ich kann mich mit ihm insofern nicht vergleichen, weil ich sportlich nicht die Leistung gebracht habe, die er momentan bringt. Für mich ist das der beste Mann der Liga, da kommt auch kein Sammer ran. Wie er durch Einzelleistungen, zum Beispiel seine Freistöße, Tore erzielt, das ist schon genial. Gut, er ist manchmal etwas unbeherrscht und redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist und deshalb eckt er halt mehr an als andere Spieler. Von vielen Deutschen wird es halt als clever und intelligent gesehen, wenn viele Spieler so dahinsülzen, was die Leute hören wollen. Meine Mentalität ist das nicht und die möchte ich auch gar nicht haben.
SCHALKE UNSER:
Du hast anfangs schon von der Begeisterung der Zuschauer gesprochen: Wie nimmt man als Spieler die Fans eigentlich wahr?
GÜNTER SCHLIPPER:
Es gibt nun mal lästige Fans und es gibt nette Fans. Wenn man vernünftig und freundlich angesprochen wird, kann man sich doch mit Leuten unterhalten. Warum soll ich sagen: „Hau ab, ich habe keine Zeit“? Wenn aber die sportlichen Erfolge ausbleiben, kann es auch ganz schön stressig werden. Dann traut man sich manchmal montags kaum die Zeitung aufzuschlagen, wenn man verloren hat. Schalke ist nun mal Himmel oder Hölle, Durchschnitt gibt es da kaum.
SCHALKE UNSER:
Wie hast du eigentlich damals die Pfiffe und ausländerfeindlichen Attacken einiger Fans gegen Radmilo Mihajlovic erlebt?
GÜNTER SCHLIPPER:
Ich glaube, das lag nicht daran, daß er Ausländer war. Da wäre jeder andere auch ausgepfiffen worden. Er konnte die hohen Erwartungen nicht erfüllen und sein Gehalt sowie die ganzen „Extras“ sind zudem in der Presse breitgetreten worden. Aber zum Thema Ausländer: Wir haben jetzt zum Beispiel hier in Lirich die Möglichkeit, einen U21-Nationalspieler aus Kamerun zu verpflichten, der schon bei höherklassigen Vereinen trainiert hat und einen guten Eindruck hinterlassen hat. Jetzt fängt für uns halt die Arbeit an: Die Behördengänge, weil er kein Europäer ist, und dann das Problem mit der Unterbringung. Er ist nun mal schwarz, und von mir aus kann er rot, grün, blau oder sonstwas sein, das interessiert mich nicht. Es gibt aber viele Vermieter, die sagen dann „Nein, aber so einen will ich nicht“. So sind die Deutschen ja zum großen Teil.
SCHALKE UNSER:
Zum Schluß noch ein anderes Thema: Schalke engagiert sich für die Aktion „Stars gegen Alkohol am Steuer“…
GÜNTER SCHLIPPER:
(schallendes Gelächter) … da bin ich ja froh, daß sie mich damals nicht gefragt haben!
SCHALKE UNSER:
Glaubst du, solch eine Aktion bewirkt etwas bei den Fans? Oder ist das Ganze nicht eher scheinheilig?
GÜNTER SCHLIPPER:
Ich kenne ja die Schalker Szene. Da sind auch schon Spieler betrunken Auto gefahren. Ich selbst bin auch so ein Typ: Wenn ich nüchtern bin, würde ich nie zu jemandem ins Auto steigen, der getrunken hat. Wenn man dann selbst getrunken hat, denkt man vielleicht schnell: „Ach, die zwei Kilometer fahre ich jetzt noch“. Es gibt halt Leute, die sagen: „Wenn ich acht Bier getrunken habe, dann fahre ich nicht mehr, aber nach 25 Bier setze ich mich ins Auto“. Da wird man dann leichtsinnig, denkt „es geht schon irgendwie“. Aber im Grunde ist das natürlich totaler Schwachsinn.
SCHALKE UNSER:
Vielen Dank für das Interview. Glückauf. Und weiterhin Gute Fahrt!