Nachdem der Abstieg in der Saison 1965/66 noch mit Ach und Krach vermieden worden war, wollten die Schalker diesmal nicht mehr zittern. Dem Namen nach starke Spieler wurden verpflichtet wie Mittelstürmer Willi Kraus, Rechtsaußen Blechinger und der Jugoslawe Zarco Nikolic. Nikolic war vom Essener Spielervermittler Raymund Schwab als zigfacher jugoslawischer Nationalspieler den Schalkern angeboten worden.
Präsident Fritz Szepan griff zu, die Ablösesumme wurde bezahlt – und dann stellte sich heraus, dass es sich um den falschen Nikolic handelte. Einen Nationalspieler dieses Namens gab es zwar auch, doch war Zarco wohl nur ein entfernter Verwandter oder Namensvetter. Der wahre Nationalspieler spielte seinerzeit in Holland. Jedenfalls durfte sich Schwab fortan nicht mehr in der Glückauf-Kampfbahn sehen lassen.
Zarco Nikolic, über dessen Alter man nie richtig informiert wurde, lieferte auch eine der kürzesten Partien eines Schalker Spielers. Als er beim Spiel in Köln eingesetzt wurde, war er ganze drei Minuten auf dem Platz, dann sah er nach einem Foulspiel die rote Karte. Ins Tor kam mit dem gerade 18 Jahre alten Norbert Nigbur einer, der bald die Nachfolge von Josef Elting antreten sollte. Sein Vater, so behauptete Nigbur später, hätte den Vertrag bei Schalke auch unterschrieben, wenn der Sohn überhaupt kein Geld bekommen hätte.
Eng wurde es auch in diesem Jahr. Zu Beginn der Rückrunde gab es mit dem 0:11 gegen Mönchengladbach die höchste Niederlage in der Geschichte des FC Schalke 04. Eine Woche später gelang zumindest mit einem 4:2-Sieg im Pokal gegen Gladbach die Revanche. Und wieder fand das entscheidende Spiel um den Klassenerhalt am drittletzten Spieltag statt. Mit einem 2:1-Sieg gegen Fortuna Düsseldorf rettete sich Schalke, die Fortuna musste absteigen. Trotz der erwähnten Verstärkungen waren die Leistungen äußerst unbefriedigend. Mit 37:63 besaß Schalke das schlechteste Torverhältnis aller Vereine. Rund um den Schalker Markt hatte man sich mehr erwartet, also musste Trainer Fritz Langner seinen Hut nehmen. Auch im folgenden Jahr 1967/68 wurde es nicht besser. Mit Karl-Heinz Marotzke kam ein neuer Trainer – niemand weiß heute mehr genau, was für diesen unerfahrenen Mann sprach. Und so startete man miserabel in die Saison. Erst am zehnten Spieltag gab es den ersten Sieg.
Die Forelle
Fritz Szepan, der dem Fußballgeschäft nicht mehr gewachsen schien, trat von seinem Präsidentenamt zurück. Seit September 1967 hieß der neue Präsident Günter „Oskar“ Siebert. Der ehemalige Mittelstürmer der Meisterelf von 1958, den man wegen seiner Schlüpfrigkeit und seines Leibgerichts nur die „Forelle“ nannte, übernahm am 27.9.1967 das lecke Vereinsschiff mit 1:13 Punkten. Und unter welchen Umständen! Nachdem er eine eigene Vorstandsmannschaft aufgebaut hatte, sprangen noch am Tage der Jahreshauptversammlung etliche Männer aus Wirtschaft und Finanzen ab. Sie hatten angesichts der desolaten sportlichen Situation kalte Füße bekommen. Noch wenige Stunden vor der Versammlung hing Siebert am Telefon und bekniete etliche Männer, sich doch für das Vorstandsamt zur Verfügung zu stellen. Pünktlich zum Anstoß brachte er noch eine Mannschaft auf die Beine: Kurt Hatlauf, Heinz Aldenhoven, Willy Rohmann, Fritz Neuhoff, Heinrich Orzewalla und Gustl Osieck. Günter Siebert, zum erfolgreichen Getränkehändler aufgestiegen, hatte vor allem Ellenbogen und brachte ein Schlagwort mit in das Hans-Sachs-Haus, über das alle Welt staunte: „Schalke muss wieder Deutscher Meister werden!“ Bis dahin hatte man nur auf das Jahr gewartet, in dem Schalke endgültig ausgezittert haben würde.
Von nun an ging’s bergauf. Günter Brocker, der Außenläufer der Meistermannschaft von 1958, übernahm als alter Kollege von Günter Siebert das Traineramt. Das Gespann Siebert/Brocker setzte zu einer tollen Erfolgsserie mit 27:15 Punkten an. Wenn auch nur als Tabellenfünfzehnter wurde der Klassenerhalt am Ende sicher geschafft. Den starken Worten auf der Jahreshauptversammlung ließ Siebert Taten folgen. Er versuchte durch gezielte Neueinkäufe eine schlagkräftige Truppe in die Saison 1968/69 zu schicken. Stan Libuda wurde vom BVB zurückgeholt, Heinz van Haaren vom MSV Duisburg losgeeist und der österreichische Nationalspieler Franz Hasil verpflichtet. Hinzu kamen Herbert Lütkebohmert (aus Marl-Hüls), Michael Galbierz, Gerd Kasperski und Bernd Michel. Insgesamt wurden 600.000 Mark Ablösesummen auf den Tisch geblättert – so viel hatte Schalke bis dahin noch nie investiert. Von einem gewissen Waldemar Slomiany, der noch eine wichtige Rolle im Skandal spielen wird, trennte man sich nach einigen Spieltagen wieder.
Mit großen Erwartungen sah die Schalker Vereinsfamilie der neuen Saison entgegen, zumal die Mannschaft 25 Vorbereitungsspiele zum Teil gegen international erstklassige Gegner unbesiegt überstanden und unter anderem den Alpenpokal gewonnen hatte. Doch wieder das alte Spiel: Den Vorschusslorbeeren folgte die Ernüchterung. Schalke wieder am Tabellenende, und wieder musste der Trainer den Hut nehmen. Im Bundesligaskandal spielte Brocker als Trainer von RotWeiß Oberhausen noch einmal eine unrühmliche Rolle.
„Riegel-Rudi“ kommt
Mit Rudi Gutendorf kam ein Mann von ganz anderem Format. Der Paradiesvogel unter den deutschen Fußballehrern war gerade frisch aus Amerika eingetroffen. Norbert Nigbur wird folgendermaßen zitiert: „Mit dem Mann kam Farbe in den Verein. Schon damals hatte Gutendorf viel von der Welt gesehen, war im Ausland erfolgreich, hatte ein gewisses Flair. Das tat Schalke gut. Es ging nicht mehr um die Frage, ob und wie wir den 16. Platz packen, sondern darum, wie wir ins obere Tabellendrittel kommen.“ Schalke belegte am Ende der Saison 1968/69 einen Mittelfeldplatz – erstmals in der Bundesliga mit einem positiven Punktekonto (35:33). Die Meisterschaftsspiele wurden aber bei weitem überstrahlt vom Erfolg im DFB-Pokal.
Zum ersten Mal seit 1958 stand Schalke wieder im Rampenlicht des Fußballs, als die Mannschaft das Pokalfinale gegen Bayern München erreichte. Zwar unterlag man durch zwei Tore von Gerd Müller mit 1:2 (Schalkes Tor schoss Pohlschmidt), doch war die Niederlage nicht tragisch. Da sich Bayern München als Deutscher Meister für den Europapokal der Landesmeister qualifizierte, war für Schalke der Weg frei, als deutscher Vertreter in den europäischen Wettbewerb der Pokalsieger einzuziehen. Nach Siegen über den irischen Vertreter Shamrock Rovers und IFK Norrköping aus Schweden bezwang man im Viertelfinale den Spitzenclub Dynamo Zagreb. Der 3:1-Sieg der Schalker in Zagreb galt als große Sensation. Im Halbfinale aber überstand man Manchester City nicht, dennoch hatten sich die Schalker eindrucksvoll auf der europäischen Bühne zurückgemeldet.
Kommissar Rex
Neben Pokal und Meisterschaft gab es noch einige bemerkenswerte Ereignisse in dieser Saison. Einmalig im deutschen Fußball ist wohl die Geschichte, die sich im Stadion „Rote Erde“ am 6. September 1969 abspielte. Wildgewordene Schäferhunde, die an der Leine ihrer Ordner eigentlich die Fans aus beiden Lagern in Schach halten sollten, machten in der 47. Minute Jagd auf Schalker Spieler und bissen Friedel Rausch und Gerd Neuser ins Hinterteil und den Oberschenkel. Rausch spielte mit zusammengebissenen Zähnen weiter, während sich bei Neuser in der Halbzeit Lähmungserscheinungen bemerkbar machten. Er musste ausgewechselt werden. Die Schalker spielten unter Protest weiter, am Ende hieß es 1:1.
Im Rückspiel in der Glückauf-Kampfbahn revanchierten sich die Schalker auf ihre Art: Sie engagierten anstelle von Schäferhunden zahme Löwen aus dem Löwenpark des Grafen von Westerholt, die an Halsbänden ihrer Pfleger den „Ordnungsdienst“ versahen. In großem Bogen marschierten die Borussen um die Raubtiere auf den Platz.