Wer nun glaubte, die Saison wäre abgeschlossen, sah sich getäuscht. Es ging jetzt erst richtig los. Am nächsten Tag feierte nun Kickers-Vorsitzender Canellas seinen 50. Geburtstag und ließ seine präparierten Bomben platzen. Zu den Einzelheiten auf den Tonbändern: Bereits Anfang Mai hatte Canellas einen Anruf vom Kölner Torwart Manfred „Cassius“ Manglitz erhalten. Manglitz forderte vom Offenbacher Vereinsobersten 250.000 Mark, sonst würde er sich beim Auswärtsspiel in Essen nicht anstrengen und ein paar „Dinger“ durchlassen.
Canellas wollte damals kein Risiko eingehen, da RotWeiß Essen zu diesem Zeitpunkt noch als ernsthafter Konkurrent im Abstiegskampf anzusehen war. Er beriet sich mit seinen Kollegen aus dem KickersPräsidium und stimmte dem Handel zu. Um sich abzusichern, hatte sich Canellas aber zuvor noch beim DFB telefonisch erkundigt, ob Siegprämien aus dritter Hand erlaubt wären. Horst Schmidt, man kennt ihn noch als den dunkelhaarigen, großgewachsenen DFB-Aufsichtsbeauftragten bei den Pokalauslosungen, antwortete, dass „es nach den Statuten nicht verboten ist, dass es aber nicht sportlich wäre, da sich sowieso jeder Spieler für seine Mannschaft einsetzen müsse.“ Am 6. Mai übergab der damalige Geschäftsführer der Kickers, Willi Konrad, der Braut von Manfred Manglitz an einer Autobahnraststätte das Geld gegen eine Quittung mit verschriebenem Datum. Köln gewann gegen Essen 3:2.
Doch Canellas‘ Misstrauen über verschobene Spiele blieb bestehen. In schöner Regelmäßigkeit machten die direkten Konkurrenten der Kickers wichtige Punkte. Immer wieder wies Canellas, der die Felle der Kickers auf dem Main davonschwimmen sah, den DFB auf die Ungereimtheiten im Abstiegskampf hin. In der DFB-Zentrale in der Zeppelinallee in Frankfurt-Bockenheim machte man sich indes nur über den „Verfolgungswahn“ der Offenbacher lustig. Lediglich der junge Funktionär Wilfried Straub zeigte sich empfänglich. „Canellas, liefern Sie stichfeste Beweise“, hieß es offiziell von Seiten des DFB. Canellas nahm die Abwimmeltaktiken der Funktionäre ernst. In der letzten Woche der Saison bastelte er an höchst explosivem Material.
Korrupte Spieler
Er nahm erneut Kontakt mit Manfred Manglitz auf, um für das letzte Spiel von Kickers Offenbach in Köln „etwas zu regeln“. Der Nationalkeeper forderte 100.000 Mark für ihn und fünf weitere Spieler, damit die Kickers „auf Sieg spielen“ konnten. Wohlgemerkt: Diesmal sollte es keine Siegprämie geben, vielmehr sollten Manglitz und Co. dafür bezahlt werden, dass sie verlieren. Canellas zeichnete das Telefonat auf Tonband auf (das Tonbandgerät war damals der letzte Schrei und ein Verkaufsrenner bei Quelle). Es wurde während des Europapokalfinals Ajax Amsterdam gegen Panathinaikos Athen (2:0) am 2. Juni 1971 in Anwesenheit von Willi Konrad und dem Bild-Reporter Werner Bremser geführt. Der „Deal“ war in Canellas Augen nur zum Schein aufgezogen und sollte aufzeigen, was hinter den Kulissen alles möglich war. Der Bild-Reporter wurde um Stillschweigen gebeten, denn der Kickers-Präsident wollte erst den letzten Spieltag abwarten.
Doch Canellas führte nicht nur mit Manglitz Gespräche. Da Arminia Bielefeld am letzten Spieltag auf keinen Fall punkten durfte, nahm er mit den Wortführern der Hertha, Nationalspieler Bernd Patzke und Kapitän Tasso Wild, Kontakt auf. Canellas wollte den Siegeswillen der Hertha mit einer zusätzlichen Prämie stärken. Bei den Forderungen der Berliner musste er feststellen, dass die Bielefelder bereits vor ihm am Zuge waren. Die Summen eskalierten bis auf 140.000 Mark. Die Arminia war sogar bereit, eine Viertelmillion für die Ungerechtigkeiten auf dem Spielfeld zu bieten. Canellas musste handeln, denn nur, wenn es am letzten Spieltag mit „rechten Dingen“ zugehen würde, wären die Kickers gerettet gewesen. Er schickte das Offenbacher Vorstandsmitglied Waldemar Klein mit einer Aktentasche, in der sich die 140.000 Mark befanden, nach Berlin, um die hin- und hergerissenen Gemüter zu beruhigen. Als Sicherheit dienten ihm die aufgezeichneten Telefonate.
DFB-Funktionär Wilfried Straub wurde stets über den Stand der Verhandlungen unterrichtet. Die Bitte, sich die Gespräche persönlich anzuhören, schlug der DFB-Mann jedoch immer wieder aus. Auch der spätere selbsternannte „Chef“-Ankläger der Fußballfunktionäre, Hans Kindermann, wollte mit den aufgestellten Behauptungen nichts zu tun haben. Als der DFB jedoch davon erfuhr, dass bereits ein Bild-Reporter eingeweiht war und Canellas ein Partyfeuerwerk plante, bekam man kalte Füße und bat Canellas, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen und sich ganz auf das letzte Spiel in Köln zu konzentrieren.
The Untouchables
Am 2. Juni hatte Canellas ein Treffen zwei Tage später, also am Vorabend des letzten Spiels der Saison der Kickers in Köln, auf einem Autobahn-Rastplatz mit „Cassius“ Manglitz vereinbart, um ihm die 100.000 Mark Schmiergeld zu übergeben. Doch Canellas hatte bereits alles, was er wollte, auf Tonband aufgezeichnet und ließ den Deal platzen. Stattdessen fuhr er am Freitag zusammen mit seinem fünfjährigen Sohn Marcel in das Haus des Kölner Mannschaftskapitäns Wolfgang Overath und berichtete ihm von den ungeheuren verräterischen Handlungen des Torwarts.
Overath, der als ehrliche Haut galt, war empört über seinen Mitspieler. Am folgenden Tag wurde Manfred Manglitz kurz vor Spielbeginn aus dem Kader gestrichen und Ersatztorwart Milutin Soscic aufgestellt. Köln besiegte die Kickers mit 4:2. In Berlin „siegte“ Bielefeld unter empörten „Schiebung, Schiebung“-Rufen mit 1:0. RW Oberhausen holte den rettenden Punkt beim 1:1 in Braunschweig. Offenbach war aufgrund des schlechteren Torverhältnisses in die Regionalliga abgestiegen. Die Enthüllungen auf der Geburtstagsparty waren natürlich ein gefundenes Fressen für die Presse, die sich auf die sensationellen Nachrichten stürzte und dankbar über den Schmutz unter den Fingernägeln der Bundesliga berichtete. So manches Mittagessen blieb den DFB-Funktionären im Halse stecken, denn mit der gemütlichen Sommerpause war es nun vorbei. Es begann die lange Zeit der Vernehmungen und Gerichtsurteile.
Canellas Anschuldigung
25.000 Mark Prämie soll Kickers-Offenbach-Präsident Horst Gregorio Canellas Manfred Manglitz zugesagt haben, dem Torhüter des 1. FC Köln und einer der Hauptfiguren im Skandal, für den Fall, dass Köln gegen Rot-Weiß-Essen gewinnt, einem der Hauptkonkurrenten der Kickers im Abstiegskampf. Köln gewann, und Kickers-Geschäftsführer Konrad überreichte der Verlobten von Manglitz, Fräulein Walter, das Geld an einer Autobahn-Raststätte. Im schlechten Spiel mitgemischt haben auch die Berliner Patzke und Wild, die von Arminia Bielefeld 300.000 Mark für zwei Punkte erhalten haben sollen. Und auch beim Spiel RW Oberhausen gegen Köln soll alles nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.
Presse und Fernsehen reagierten entsetzt. In der ARD kommentierte man den Skandal mit den Worten: „Auch das Fernsehen wird sich überlegen müssen, ob es einen solchen kriminellen Unsinn, der sich Fußball nennt, noch weiter übertragen soll.“ Die Worte erzielten in der DFB-Führungsriege Wirkung. Sie drohten Klage und Boykott an („Solange diese Äußerungen von der ARD im Raume stehen, werden wir aus Gründen der Selbstachtung nicht in der Lage sein, weiterhin Verhandlungen mit der ARD zu führen“).
Auch in den Lagern der Konkurrenten wachte man im Anschluss der Siegesfeiern über den verhinderten Abstieg nach Canellas‘ Tonband-Enthüllungen ebenfalls etwas verkatert auf. Als Gegenmaßnahme wurden in Oberhausen, Braunschweig, Bielefeld und Berlin die Köpfe zusammen gesteckt und härtestes „cattenacio“ als taktische Anweisung angegeben: Jeder deckte jeden, Beschuldigungen wurden abgeschlagen und Gegenklagen herausgefeuert. Zielscheibe war Canellas, der Spielverderber.
Der DFB, der bereits im Vorfeld von Canellas unterrichtet wurde, aber seinerzeit keinerlei Reaktion zeigte, handelte nun auf einmal schnell. Hans Kindermann, Landgerichtsdirektor in Stuttgart und Vorsitzender des DFB-Kontrollausschusses, schritt zur Tat. Ganz schnell sollte die Sache vom Tisch kommen. Bereits vier Tage nach den Enthüllungen wurden zunächst Patzke, Wild, Manglitz und der Bielefelder Trainer Egon Piechaczek im DFB-Haus an der Zeppelinallee in Frankfurt vernommen. Eine Woche später trat Horst Gregorio Canellas vor den DFB-Kontrollausschuss und ließ die nächste Bombe platzen.