Endlich mal ein Skandal ohne Schalke 04! So lautete der Tenor in den vielen Gaststätten rund um den Schalker Markt, wenn über den Bundesliga-Skandal diskutiert wurde. Doch hier hatten die Schalker Anhänger die Rechnung ohne Canellas gemacht: „Ein Vorstandsmitglied des FC Schalke 04 hat in einem Telefonat mit mir 100.000 Mark gefordert und dafür eine Niederlage gegen Kickers Offenbach zugesagt.“
Das Rätselraten über den Namen des Vorstandsmitglieds wurde von Schalke in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz selbst gelüftet. Rechtsanwalt Walter Becker, zugleich Vorsitzender des Schalker Ehrenrats, erklärte: „Wir haben mit Hans Kindermann telefoniert und von ihm den Namen unseres angeschuldigten Vorstandsmitgliedes erfahren. Es ist unser Schatzmeister Heinz Aldenhoven. Hierzu ist anzumerken, dass Heinz Aldenhoven zahlreiche Verhandlungen per Telefon mit Herrn Canellas und einmal auch in dessen Wohnung geführt hat. In allen Gesprächen handelte es sich jedoch nur um den Wechsel der Kremers-Zwillinge von Kickers Offenbach zu Schalke 04 sowie um die Höhe der Ablösesumme. Über andere Dinge ist nie gesprochen worden.“
Heinz Aldenhoven, mit 31 Jahren der jüngste Schatzmeister aller Bundesligaclubs: „Ich habe Herrn Canellas immer als Gentleman betrachtet. Doch nach dieser schweren Anschuldigung gegen mich und unseren Club muss ich schon vor der Aussage beim DFB auspacken. Wir waren uns fast einig darüber, dass die Kremers-Zwillinge für eine Ablösesumme von je 120.000 Mark zu uns kommen sollten.
Beide Spieler gaben Günter Siebert in Gegenwart zahlreicher Vorstandsmitglieder ihr Ja-Wort, zu uns zu kommen. Am Samstagmorgen vor dem Spiel gegen Kickers Offenbach rief mich Herr Canellas an und unterbreitete folgende Offerte: Ihr könnt einen Kremers-Zwilling erhalten, falls Offenbach das Spiel in Schalke gewinnt. Herr Canellas gab auch zu bedenken, ob er die beiden Kremers-Zwillinge überhaupt noch in Schalke spielen lassen könne, weil sie mit halben Herzen doch schon bei uns seien.“
Heinz Aldenhoven holte tief Luft und erinnerte sich: „Ich telefonierte mit den Kremers-Zwillingen im Offenbacher Trainingslager und bat sie, in der Glückauf-Kampfbahn mit einer guten Leistung aufzuwarten, denn sie spielten schließlich vor einem besonders kritischen Publikum, das sehen wolle, ob Schalke für die neue Saison gut eingekauft habe. Herrn Canellas aber sagte ich, dass wir uns auf sein Angebot nicht einlassen könnten.“ Aldenhoven wies mit Entrüstung die Behauptung zurück, von Herrn Canellas als Ganove am Telefon bezeichnet worden zu sein. Herr Canellas habe ihm im Gegenteil versichert, dass er lieber mit ihm als mit unserem ersten Vorsitzenden Günter Siebert über den Wechsel der Kremers-Zwillinge verhandele. „Der Siebert“ sei für ihn Luft.
Der Kommentar von Günter Siebert lautete: „Die Anschuldigung von Herrn Canellas ist so unverschämt, dass wir gerichtliche Schritte erwägen. Wir warten zunächst einmal das Ergebnis der Vernehmung unseres Schatzmeisters vor dem Kontrollausschuss ab. Wir hoffen, dass es zu einer klärenden Gegenüberstellung mit Herrn Canellas kommt, der die Flucht nach vorn ergriffen hat, um sich zu retten und den Bundesliga-Fußball kaputt zu machen. Wir haben Beweise dafür, dass er mit den Kremers-Zwillingen bei vielen Vereinen gepokert hat. Die Brüder sind bereit, zu gegebener Zeit auszusagen. Wir erwägen eine Klage vor einem ordentlichen Gericht wegen Verleumdung und Schädigung unseres Rufes mit einer Wiedergutmachung in Höhe von einer Millionen Mark.“
Wie ein Bumerang
Canellas warf mit Anschuldigungen um sich, die stichhaltigen Beweise aber ließ er vermissen. Seine Anschuldigungen wurden zu einem Bumerang. Er musste zugeben, dass auch er manipuliert hatte. Im Fall „Manglitz“ wurde dies bald klar. Anklage wurde nun nicht mehr nur gegen Manglitz, Patzke und Wild erhoben, auch Canellas und seine Offenbacher Kickers mussten sich vor Gericht verantworten.
Es kam auch nicht zu einer Gegenüberstellung mit Heinz Aldenhoven vor dem DFB-Kontrollausschuss. Kurz vor Beginn ließ Canellas durch seinen Rechtsanwalt erklären, dass er den Ausschuss für befangen halte. Tatsächlich saßen dort mit Fischer (Gastwirt aus Bielefeld) und Hartleb (Berlin) zwei Leute, die man eher der Offenbacher Konkurrenz zuordnen konnte.
Nach kurzer Beratung wurde der Antrag des Kickers-Präsidenten abgelehnt; Canellas Rechtsanwalt legte Protest beim DFB-Vorstand ein. Gleichzeitig verweigerten Canellas und die ebenfalls als Zeugen geladenen Offenbacher Verwaltungsratsmitglieder die Aussage. Doch das alles half nichts, die Klage gegen ihn lief auf vollen Touren.
Inzwischen ließ Schalke die Verleumdungsklage gegen Canellas vorbereiten. Zusätzlich wollte auch Aldenhoven persönlich wegen Verleumdung und Rufschändung in Höhe von 500.000 Mark klagen. Dass sich Canellas auf dem Rückzug befand, schien auch daraus hervorzugehen, dass er neben einigen anderen Spielern seines Clubs auch die beiden von zahlreichen Vereinen stark umworbenen Kremers-Zwillinge auf die Transferliste setzen ließ.
An ihrem Urlaubsort an der Costa Brava, wo auch viele Schalker Spieler und der damalige Mannschaftsbetreuer Ede Lichterfeld weilten, wurde mit der Unterschrift für einen Zweijahresvertrag alles perfekt gemacht. Je 120.000 Mark Ablösesumme sowie je 60.000 Mark sogenannte Treueprämie musste Schatzmeister Aldenhoven für die beiden auf den Tisch legen.
Wenn wir alle Englein wären
Am 24. Juli 1971 kam es dann zum ersten großen Prozess im Bundesliga-Bestechungsskandal. Doch dieser geriet zu einer einzigen Farce. Vor der Vernehmung von Manfred Manglitz leitete der Sportgerichtsvorsitzende Dr. Kirsch mit den Worten ein: „Die Beschuldigten brauchen es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen.“
Er hätte genauso gut sagen können: „Na, dann lügt mal schön.“ Was sich sowohl Beschuldigte als auch Zeugen dann im Verlauf der Verhandlung nicht noch einmal sagen lassen mussten. Es wurde gelogen, dass sich die Balken bogen. Nimmt man die Aussagen der Beschuldigten, dann waren alle frei von Schuld, waren sie alle Engel. Aber so viele Engel vor einem Gericht, gibt’s die? Wohl kaum. Manfred Manglitz hatte nur einmal sehen wollen, wie sich die Sache weiter entwickelt, nachdem er das erste Geldpäckchen von 25.000 Mark in seinen Besitz gebracht hatte.
Dann erklärte Manglitz, er habe auch bei dem 100.000 Mark-Angebot von Canellas nur zum Schein mitgespielt, weil er später einmal Trainer werden wollte und es ihn einfach interessierte, was alles möglich wäre: „Es kann nie schaden, wenn man weiß, wie so etwas gemacht wird.“
So unglaubwürdig die Aussage von Manglitz war, so lustig und auf keinen Fall ernst hatten die Herren Patzke („Als meine Freundin mir sagte, ein Herr Konrad habe angerufen, dachte ich, dass das mein Mechaniker von BMW sei“) und Wild die 140.000 Mark-Transaktion empfunden. Alles wäre nur aus einer Bierlaune entsprungen.
Man sei betrunken gewesen, wie man besonders bei Wild den Eindruck haben musste, dass einige Bundesligakicker nur kassieren und saufen. Das wusste auch Wilds Kronzeuge und Freund Geyer als Zeuge zu untermauern: „Der Tasso hat zu mir gesagt, dass er einen fürchterlichen Brand gehabt hat.“ Auf die Frage von Dr. Kirsch, was er mit Brand aussagen wolle, antwortete Geyer: „Einen Brand hat man, wenn man so richtig besoffen war.“
Dass wir alle Sünder sind
Mag der große Durst auch noch für die ersten Kontakte mit Canellas ausschlaggebend gewesen sein, so waren die Herren Patzke und Wild zumindest aber dann nüchtern, als der Offenbacher Abgesandte Klein mit den 140.000 Mark in Berlin empfangen wurde.
Klar, dass Canellas dies nicht auf sich sitzen lassen wollte. Nicht er habe Manglitz, sondern der ihn zuerst angerufen. Mit Patzke habe er nur über Standard Lüttich gesprochen, bevor der am nächsten Tag erst die Forderung über 100.000 Mark am Telefon ausgesprochen habe, die Wild dann auf 140.000 Mark hochgetrieben habe. Zudem wollte er ja nur ermitteln, was die Konkurrenz eventuell an Bestechung zahlen werde.
Auch Waldemar Klein versuchte zu untermauern, dass alle Kickers-Aktionen nur der Ermittlung dienten. Er konnte jedoch nicht stichhaltig beantworten, warum er jedes Mal in Offenbach anrief, wenn Wild und Patzke die Forderungen höher schraubten – er sei doch angeblich ohnehin nicht gewillt gewesen zu zahlen.
Fernab von allen Vernehmungen war aber eigentlich schon im Vorfeld klar, dass der DFB ein Exempel statuieren wollte. Im wesentlichen hielt sich das Sportgericht dann auch an das Strafmaß, das „Chefankläger“ Kindermann gefordert hatte. Dem Kickers-Präsidenten wurde auf Lebenszeit untersagt, in einem Verein oder Verband des DFB ein Amt zu bekleiden, den Offenbacher Vereinsangehörigen Waldemar Klein und Fritz Koch wurden ihre Ämter für drei Jahre aberkannt. Manfred Manglitz und Tasso Wild wurden auf Lebenszeit gesperrt, Bernd Patzke erhielt zehn Jahre Sperre.
Kickers Offenbach wurde die Lizenz entzogen mit der Auflage, frühestens in der Saison 72/73 eine neue beantragen zu dürfen. Offenbachs Geschäftsführer Willi Konrad wurde als einziger nicht belangt, da er als Angestellter des Vereins handelte.