Im Zweifel für den DFB

Mit diesem Kahlschlag hoffte das Sportgericht des DFB, Ruhe an der Skandalfront zu erzielen und die im Anmarsch befindliche Bundesligasaison 1971/72 in Harmonie zu beginnen und Schaden von der bevorstehenden Weltmeisterschaft im eigenen Lande abzuwehren. Augen zu und durch, hinten dicht und vorne hilft der liebe Gott. Richtig peinlich wurde es für den Deutschen Fußball­Bund aber, als im Prozess herauskam, dass mindestens sieben DFB-Herren bereits vor der Enthüllung durch Canellas eingeweiht waren.

Wie funktionsunfähig die Maschinerie des DFB war, deutete Hans Kindermann an: Er rechtfertigte seine Untätigkeit – obwohl am Freitag vor dem letzten Spieltag sogar noch der Kontrollausschuss tagte – so: „Herr Canellas hätte sich nicht an mich wenden dürfen. Der Kontrollausschuss hat keine Möglichkeit, etwas zu unternehmen, weil seine Funktion die einer nachherigen Untersuchung ist. Canellas hätte sich an ein anderes Gremium wenden müssen.“

Ein klassisches Eigentor. Die Mitwisserschaft namhafter DFB-Vertreter wurde weder in der Anklage noch in der Urteilsbegründung erwähnt. Allen war klar, dass es dem Sportgericht nur um eine schnelle „Wiederherstellung des Vertrauens in die Sauberkeit des Sports“ ging, nicht aber um eine lückenhafte Aufklärung der Geschehnisse.

Unter dem Druck der öffentlichen Meinung sah man sich zu überschnellen Verurteilungen gedrängt. Canellas war zwar schuldig gesprochen, doch der Schwarzen Peter lag nun beim DFB. Der Bundesliga-Skandal kam sogar als Punkt auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestags, der zu klären hatte, ob Verbandsgerichte wie das Sportgericht des DFB rechtsstaatlichen Maßstäben genüge und ob diese Berufsverbote aussprechen dürften. Die Gerichtsbarkeit des DFB schien stark in Frage gestellt. Unter dem Teppich rumorte es gewaltig weiter.

Vorstand und Verwaltungsrat der Kickers tagten in Offenbach und beschlossen, in Berufung zu gehen. Canellas gab indes seinen Amtsrücktritt bekannt, um unbelastet und mit voller Kraft um seine volle Rehabilitation kämpfen zu können.

Vorwürfe gegen RWO

Der DFB stritt mittlerweile bereits an zweiter Front gegen einen anderen Revierverein. Ins Visier wurde Rot-Weiß Oberhausen genommen. Anlass war die Aussage des Kölners Peter-Georg Friesdorf, der behauptete, die Kleeblättler hätten den 4:2-Sieg gegen Köln mit 30.000 Mark erkauft. Im RWO-Vereinslokal „Fritz am Altmarkt“ war man erschüttert ob solcher Vorwürfe gegen RWO-Präsident Peter Maaßen und den früheren Trainer Adi Preißler. Die RWO-Fans waren ebenfalls aufgebracht.

Ihr Zorn richtete sich in erster Linie gegen eine Zeitung, die in den vorangegangenen Wochen Stimmung gegen RWO machte und die Kleeblättler als den Buhmann im Skandal hinstellte. Sie kauften alle erreichbaren Ausgaben dieser Zeitung auf und verbrannten sie nach einer öffentlichen Kundgebung in Oberhausen auf dem Altmarkt.

Der DFB aber blieb seiner harten Linie treu und ließ verlauten, dass man auch im Falle Rot-Weiß Oberhausen nicht vor einem Lizenz-Entzug zurückschrecken werde, falls eine Bestechung nachzuweisen wäre.

Schalke auf England-Tour

Schalke bereitete sich indessen auf die neue Saison vor. Der neue Trainer Ivica Horvat nahm seine Arbeit auf, und Günter Siebert konnte seine „Traumelf“ präsentieren. Die schöne Zeit des Faulenzens an der Costa Brava war vorbei, Schalke testete seine Form gegen britische Mannschaften. Erster Gegner war der Traditionsverein Derby County, gegen den man gleich eine 1:3-Niederlage kassierte. Am folgenden Sonntag erfolgte der Start der Schalker Mannschaft ab Düsseldorf nach Schottland mit Zielhafen Edinburgh.

Insgesamt sollten Tests gegen Hibernian Edinburgh, Cardiff City und Derby County (Rückspiel) stattfinden. Rolf Rüssmann zur England-Reise: „Im Mutterland des Fußballs können wir noch einiges lernen. Wir haben ein straffes Trainingslager hinter uns und können die Kondition gegen die englischen Profis nur verbessern.“

Und Schalke schlug sich gegen die Hibernians (Tabellendritter der schottischen Liga) tapfer. Vor 10.000 begeisterten Zuschauern, die vor allem Norbert Nigbur wiederholt Beifall spendeten, erzielte man bei strömendem Regen ein beachtliches 0:0. Gegen Cardiff (3:5) und Derby County (0:2) gab es aber wieder zwei Lehrstücke. Ivica Horvat war aber dennoch nicht unglücklich mit den Spielen seiner Mannschaft.

Der jugoslawische Trainer glaubte übrigens fest daran, dass sich der Bundesliga-Bestechungsskandal nicht weiter negativ auf Schalke auswirken werde: „So etwas wird schnell vergessen, vor allem dann, wenn die Mannschaften mit guten Leistungen aufwarten werden. Dann wird der verloren gegangene Kredit schnell wieder eingespielt. Auch Vorstände und Trainer müssen eine seriöse Arbeit leisten.“

Tatsächlich schien der Skandal auch keinerlei Wirkung auf den Besuch der Spiele in der Glückauf-Kampfbahn zu haben. Wie Margot Stelter von der Schalker Geschäftsstelle der Presse mitteilte, lief der Verkauf der Vormietkarten, so hießen damals die Dauerkarten, besser als in den Vorjahren. Eine solche Vormietkarte für die Haupttribüne kostete damals 270 Mark, eine Einzelkarte für einen überdachten Stehplatz 7,50 Mark.

Erste Geständnisse

Der Skandal zog weiter seine Kreise, und immer mehr Vereine gerieten in den Skandal-Strudel: Als erster Spieler hatte bald Hans Arnold vom VfB Stuttgart zugegeben, vom Bielefelder Spieler Jürgen Neumann 45.000 Mark für eine 0:1-Niederlage erhalten zu haben.

Das Geld habe er dann mit seinen Stuttgarter Mitspielern Weiß und Eisele geteilt. Die Stuttgarter Vereinsführung bekam einen Wink von Canellas, der von Arnolds Aktion wusste. Stuttgart vernahm daraufhin die gewählten Mannschaftssprecher Köppel, Haug und Arnold.

Als Arnold auf harte Fragen der Vereinsführung nur ungenau antwortete, nahm ihn der VfB-Präsident Weitpert unter vier Augen in die Mangel. Er legte schließlich ein Geständnis ab, das er später gegenüber Kindermann bestätigte.

Hans Arnold wollte es ganz schlau anfangen und auf Nummer Sicher gehen. Als er die 45.000 Mark von Neumann kassiert hatte, gab er dem Geldgeber zwar eine Quittung, händigte ihm diese aber nicht aus.

Die Quittung wurde in einem Banksafe deponiert, zu dem Arnold den Schlüssel hatte. Nach einer Niederlage wollte Arnold die unbequeme Quittung dann verbrennen, für den Fall eines VfB-Sieges wäre die Quittung als Faustpfand bei Neumann geblieben. Die gut eingefädelte Geschichte hat jedoch nicht geklappt. Irgendwie gelang es Neumann, eine Fotokopie der Quittung herzustellen, die jetzt Arnold das Genick gebrochen hatte.

Die betroffenen Vereine handelten sofort und beurlaubten Arnold und Neumann. Es schien ein Alleingang dieser Spieler gewesen zu sein, doch eine Frage blieb: Wer beauftragte Jürgen Neumann, die 45.000 Mark Schmiergeld zu zahlen?

VfB-Präsident Weitpert schien mit seiner Aussage „Wir sehen nur die Spitze eines Eisbergs“ Recht zu behalten, denn nur drei Tage später sollte auch Schalke schon wieder mit in den Skandal hinein gezogen werden.

Die Bild-Zeitung titelte in ihrer Samstagsausgabe: „Bei Schalke 04 lief ein krummes Ding“. In dem Artikel – noch ohne beweiskräftiges Material – war davon die Rede, dass sich ein neuer Zeuge der Zeitung gestellt habe und bereit wäre, vor dem DFB-Kontrollausschuss auszusagen: „Ich bin vom Bielefelder Spieler Dieter Schulz angesprochen worden, für die Arminen Spiele zu kaufen. Ich habe von ihm gehört, dass auch bei Schalke ein krummes Ding gelaufen ist“.