SCHALKE UNSER:
Grüß Gott, Herr Pfarrer. In Ihrer Wohnung hängen der Schalke-Wimpel und das Jesuskreuz. Wie sind Sie denn zu Schalke gekommen?
PFARRER DOHM:
Früher hatte ich meine Gemeinde in Wattenscheid. Danach bin ich in den Bezirk Schalke-Nord gewechselt, wo ich schon bald Kontakt zu Ernst Kuzorra bekam. Eigentlich hat mich Ernst Kuzorra zum Fußball und zum FC Schalke 04 gebracht. Ernst Kuzorra hat damals auch viel für unsere Gemeinde getan. Einen Tag bevor er verstarb, habe ich ihn noch im Krankenhaus besucht, das war am 31. Dezember 1989. Wenige Tage später habe ich die Predigt bei seiner Beerdigung gehalten. Aber der Kontakt zu seiner Familie ist nie abgerissen. Vor kurzem habe ich erst sein letztes Urenkelkind getauft.
SCHALKE UNSER:
Wir können uns auch noch ganz gut an Kuzorras Beerdigung erinnern. Es war Winter, die Kirche war überfüllt, die Leute standen bis draußen. Direkt nach der Predigt verließ Reinhard Libuda die Kirche – blieb gar nicht mehr bis zum Schluß.
PFARRER DOHM:
In der Predigt wurde alles noch einmal aufgenommen, was Kuzorras Leben ausgemacht hatte. Und Stan Libuda hatte eine sehr enge Beziehung zu Ernst Kuzorra. Er hatte später ja auch seinen Laden übernommen. Und ich glaube, daß diese Erkenntnis, der Tod Ernst Kuzorras, ihn so sehr beschäftigt hat, daß das gefühlsmäßig wohl zu viel für ihn war.
SCHALKE UNSER:
Zu Stan Libuda gehört wie das Amen in die Kirche auch die Anekdote „An Gott kommt keiner vorbei, außer Stan Libuda.“ Man sagt auch „Schalke ist eine Religion“, der Papst ist Ehrenmitglied bei Schalke 04 oder unser Titel SCHALKE UNSER. Es scheint doch einige Parallelen zwischen Kirche und Schalke zu geben.
PFARRER DOHM:
Zu der Bezeichnung SCHALKE UNSER habe ich eine sehr differenzierte Meinung. Da würde ich mich über einen anderen Titel freuen. Denn da ist eine Annäherung, da wird etwas übertragen, was nicht übertragbar ist. Schalke ist sicherlich eine Religion. Es gibt bestimmt religiöse Züge in der Anhängerschaft von Schalke, gewisse Riten werden praktiziert. Aber der christliche Glaube ist schon etwas anderes. Die Gefahr des Titels SCHALKE UNSER ist, daß dabei zwei eigentlich grundverschiedene Dinge verwischt werden. Und durch diese Verwischung verlieren beide Punkte teilweise ihre Eigenständigkeit.
Das „Vater Unser“ ist für mich ein so wichtiges Gebet, daß es für mich einen Schritt zu weit geht, es in der gleichen Wichtigkeit zu einem Bekenntnis zu Schalke zu machen. Ich sage „Ja“ zum Fußball, „Ja“ zu Schalke, aber das ist nicht mein Bekenntnis. Das ist eher Zustimmung. Ich würde auch niemals sagen „Fußball ist mein Leben“. Ich beschäftige mich in meinem Leben mit Fußball. Aber, daß er zu meiner Lebensgrundlage wird, das fände ich ganz schlimm.
SCHALKE UNSER:
Das neue Schalke-Buch „Der Mythos lebt“ wurde von einem Theologen verfaßt. Die Einleitung beginnt damit, daß er auf der Toilette der theologischen Fakultät an der Ruhr-Universität in Bochum den Spruch gelesen hat „Schalke statt Gott“. Es ist natürlich ziemlich gewagt, diesen Spruch als Aufhänger für ein Buch zu nehmen. Andererseits steckt darin sehr viel Kraft. Die Kirche von heute hat viele Schwierigkeiten. Sinkende Mitgliederzahlen, Kirchenaustritte, der Glaube ist nicht mehr so stark wie früher. Beim Profifußball genau umgekehrt. Da sind die Stadien ausverkauft. Ist es nicht seltsam, daß sich die Leute mehr mit Fußball als mit dem christlichen Glauben beschäftigen?
PFARRER DOHM:
Natürlich ist der Fußball eine Massenbewegung. Und er ist es noch mehr durch die Aufmachung des Fernsehens geworden. Ich glaube aber auch, daß viele Familien Fußball nur gucken, weil es alle anderen auch gucken. Sonst kann man am nächsten Tag beim Gespräch nicht mitreden. Aber die Frage ist nicht „Schalke oder Gott?“, sondern „Schalke und Gott“. Aber in einer differenzierten Wertigkeit. Die Gefahr besteht, daß wenn Schalke eine Niederlagenserie hat, sich ein Fan aus dem Fenster wirft. Erst neulich nach der Entlassung von Jörg Berger war das eine Schlagzeile in den Medien. Man darf nicht den Sieg seines Vereins verwechseln mit seiner Bejahung zum Leben oder seiner Infragestellung bei einer Niederlage. Gott will das Leben. Schalke verkauft keine Glaubensgrundlage. Schalke ist als Verein mit seiner Profiabteilung zunächst einmal nur ein Wirtschaftsunternehmen. Natürlich wird man dort als Zuschauer unterhalten, nimmt teil am gemeinsamen Erleben des Fußballspiels, dem Anfeuern der Mannschaften. Und das sind Bewegungen, die finde ich gut. Aber es sollte niemals zu meiner Lebensgrundlage werden. Da muß man aufpassen, sonst verkehrt sich der Sport.
SCHALKE UNSER:
Die Glaubenskriege der Fangruppen und die Heiligen Kriege: Ist das eine weitere Parallele zwischen Kirche und Fußball?
PFARRER DOHM:
Alle diese Auseinandersetzungen und Bekriegungen in den Stadien sind auf der Schwelle, einen Schritt zu weit zu gehen. Es kann ja ein Verein nicht wollen, daß er seine eigenen Fans auf die Fans der anderen losläßt. Es ist eine schlimme Überziehung, daß Menschen einfach auf andere einschlagen. Ich bin anerkannter Kriegsdienstverweigerer und verfolge in allen Belangen im Dienste Gottes das „Ja“ zum Menschen. Und da hat Gewaltanwendung gegen andere keinen Platz Und schon gar nicht in der Idee des Sportes, wo der faire Wettkampf,das Sich-Messen, das friedliche Messen, Vorrang hat. Sportlicher Wettkampf ist eine urbiblische Idee. Aber eine Überziehung, in der ich den anderen als Feind betrachte? Dann geht’s völlig daneben.
SCHALKE UNSER:
Apropos Feinde: Sie treten auch regelmäßig mit den Schalke-Pfarrern gegen die BVB-Pfarrer zum Fußballspiel in der Glückauf-Kampfbahn an. Aber auch wir haben die Bibel gelesen und da heißt es doch im Brief des Paulus an die Römer „Haßt das Böse, hängt dem Guten an“. Muß denn dann so ein Spiel sein?
PFARRER DOHM:
Ja, wir sind in der Vergangenheit schon zweimal gegen die BVB-Pfarrer angetreten. Die Dortmunder hatten uns auch dieses Jahr herausgefordert. Leider kam etwas dazwischen und wir mußten uns vertagen. Kirche und Sport ist eine eminent tragende Verbindung, weil in der Kirche wie auch im Sport Körper und Geist trainiert werden. Es gibt ja schließlich auch den CVJM (Christlicher Verein Junger Menschen), ganze Sportvereine innerhalb der Kirche. Und meine Idee war es, daß es die Pfarrer und Pfarrerinnen nicht nur verstehen sollten, mit dem Worte, sondern auch mit dem Ball umzugehen. Training für unsere Kirchenkicker ist übrigens montags um 10 Uhr. Dann heißt es: Kutte aus, Trikot an und das Spielchen auf der Anlage von Westfalia 04 kann losgehen. Als nächstes ist ein Spiel unserer Truppe gegen die Mannschaft des Westdeutschen Rundfunks geplant. Das Ganze natürlich für einen wohltätigen Zweck.
SCHALKE UNSER:
Auch die Schalker Fanclubs engagieren sich sehr auf dem sozialen Sektor. Im letzten Jahr wurden über 70 000 Mark von Fanclubs des Schalker Dachverbands an karitative Einrichtungen überwiesen. Die Fanclubs tun da unheimlich viel, um ein anderes Image zu bekommen als das oftmals in der Zeitung zu lesen ist. Als Fan sitzen Sie immer auf der Tribüne des Parkstadions. Wie ist denn Ihr Feeling beim Fußball? Sind Sie eigentlich ein enthusiastischer Fan?
PFARRER DOHM:
Ich bin schon begeisterungsfähig. Und beim Torschrei stehe ich so schnell auf wie nie. Ansonsten sind meine Bewegungen immer etwas mühevoller. Bloß was ich schlimm finde, sind Gesänge wie „Steh auf, Du Sau“ oder Schiedsrichterbeleidigungen wie „Schwarze Sau“. Doch die Begeisterung an einem schönen Fußballspiel ist schon etwas feines. Und dann muß man auch schon mal die Leistung des Gegners anerkennen, falls dieser besser gespielt und gewonnen hat. Ich freue mich natürlich mehr, wenn Schalke gewinnt. Aber es darf nicht dadurch gebremst werden, daß unfaire Methoden eingesetzt werden. Es muß immer ein Spiel bleiben. Mit aller Ernsthaftigkeit und allem Engagement. Und dann darf ich auch am Spieltag erwarten, daß die Spieler, die gute Gehälter verdienen, auf dem Platz ihr Bestes geben und sich voll reinhängen. Das sind sie ihrem Anspruch als Profis und den Leuten, die teures Geld dafür bezahlen, schuldig.
SCHALKE UNSER:
Wie sehen Sie überhaupt den Kommerz im Fußball? Mittlerweile wird sogar über zusätzliche Werbepausen nachgedacht.
PFARRER DOHM:
Wenn ich mich da noch erinnere, wie groß das Theater damals über die erste Trikotwerbung in der Bundesliga war. Mittlerweile werden im Fußball horrende Summen bezahlt. Aber diese Summen zeigen auch, wie viele Arbeitsplätze daran hängen. Es werden ja nicht nur die Spieler dotiert. Man braucht nur mal ins Stadion zu gehen, da sieht man Übertragungswagen, Würstchenbuden, Fanartikelstände. Da hängt ein ganzes Umfeld dran. Wenn von heute auf morgen alle Spiele der Bundesliga abgesetzt würden, würde mich mal interessieren, wie viele Leute arbeitslos würden. Von den Sportredakteuren angefangen bis hin zu all dem, was sich rund um ein einziges Stadion abspielt. Das ganze ist also ein Kreislauf und es ist nicht so, daß der Verein das ganze Geld scheffelt. Da hängen unheimlich viele Dinge von ab, die wohl so in der Gesamtheit von vielen nicht gesehen werden. Und wenn das Geld derart in die Vereine fließt, ist auch die Verantwortung der Vereinsführung riesig groß. Ein solches Unternehmen muß sauber geführt werden, und im Augenblick habe ich als Mitglied des Ehrenrates das gute Gefühl, daß bei Schalke sauber gearbeitet wird.
SCHALKE UNSER:
Nun bekommt Schalke mit der geplanten Arena vielleicht doch bald ein neues Stadion. Sind Ihre Pläne, dort eine Kapelle einzurichten, noch in der Schublade?
PFARRER DOHM:
Wenn das ganze ein Ort der Besinnung wäre, wo die Leute zu sich kommen können, wäre das begrüßenswert. Es gibt ja solche Kapellen an den verschiedensten Orten, dem Bahnhof, der Autobahn-Raststätte. Warum nicht auch in einem Fußballstadion? Wenn das ganze aber dazu gerät, den FC Schalke 04 und nicht Gott zu ehren, würde ich dringend davon abraten.
SCHALKE UNSER:
Vielen Dank für das Gespräch. Glückauf und Amen.