Die Bundesliga ist da

(rk) In der letzten Ausgabe berichteten wir über den zweiten großen Skandal in der Schalker Vereinsgeschichte. Schalke hatte groß investiert, um den Sprung von der Oberliga in die neu gegründete Bundesliga zu schaffen. Zuviel, wie sich herausstellte. Um die hohen Ablösesummen bezahlen zu können, griff Schalke zu allen – auch illegalen – Mitteln. Schließlich mußte sich Schalkes Präsident Dr. Georg König wegen Steuerhinterziehung vor Gericht verantworten. In dieser Ausgabe berichten wir aber mal über einen Skandal, der sich positiv für Schalke auswirkte.

Cover SCHALKE UNSER 22
SCHALKE UNSER 22

103:26 lautete das Ergebnis, als am 28. Juli 1962 der DFB-Bundestag über die Einführung einer Bundesliga abstimmte. Schalke gehörte zu den acht „Gesetzten“, bei denen von Anfang an feststand, daß sie in der neuen Eliteliga kicken durften. Trainer Georg Gawliczek trat mit einem Kader von insgesamt zwanzig Spielern an. Folgende Elf bildete die erste Garnitur: Horst Mühlmann (aus Brambauer), Hans Nowak (von Eintracht Gelsenkirchen, bis dahin neun Länderspiele), Friedel Rausch (aus Meiderich), Willy Schulz (aus Günnigfeld, 15 Länderspiele), Egon Horst (aus Aschaffenburg), Manfred Kreuz (aus Buer, als Steuerbeamter brauchte er eine Sondergenehmigung zum Abschluß eines Lizenzvertrages), Willi Koslowski (Schalker Eigengewächs, Teilnehmer der WM 1962 in Chile), Günter Herrmann (aus Karlsruhe, sieben Länderspiele), Klaus Matischak (stammt aus Bottrop, kam aus Köln), Waldemar Gerhardt und Reinhard „Stan“ Libuda (beides Schalker Eigengewächse).

Der Absturz

Das war schon eine starke Mannschaft, und in den ersten Spielen der Bundesliga lief auch alles nach Plan. Bis Dezember verlor die Mannschaft nur gegen Bremen und Frankfurt. Man schlug sogar den 1. FC Nürnberg auf dessen Platz. Aber dann kam der Einbruch. Während in Essen beim Prozeß mit Dr. Georg König (siehe SCHALKE UNSER 21) schmutzige Schalker Vorstandswäsche gewaschen wurde, ging es auch mit der Mannschaft bergab. Nur noch vier Siege gab es in der Rückrunde und ein Unentschieden. Tiefpunkt war das 1:7 bei 1860 München kurz vor Schluß der Saison. Bei der Endabrechnung landete Schalke gerade mal auf dem achten Tabellenplatz. Die Elf war noch lange nicht in sich geschlossen, und wie das immer so geht, schuld war der Trainer. „Schorsch“ Gawliczek, Schalker Spieler in der Nachkriegszeit, 1961 geholt, warf man nun seine häufigen Besuche auf der Rennbahn und zu lasche Trainingsmethoden vor. Gawliczek hatte sowieso in den damaligen Vorstandsintrigen einen schweren Stand. Ernst Kuzorra mischte sich oft genug in die Mannschaftsaufstellung und die Traineranweisungen ein, es gab Krach mit den Spielern, und außerdem rückte auch schon das nächste Skandälchen an.

Lizenzbetrug?

Dr. Hubert Claessen, Rechtsanwalt aus Bonn und Vorsitzender des DFB-Kontrollausschusses, von jeher kein großer Schalke-Anhänger, wollte festgestellt haben, daß Schalke bei dem Aufnahmeantrag zur Bundesliga gemogelt habe. Jeder Verein, der sich für die Bundesliga bewarb, mußte ein Stadion mit einem Fassungsvermögen von 35.000 Zuschauern, ein Stammkapital von 200.000 Mark und einen Umsatz von 300.000 Mark vorweisen. Nun hieß es, Schalke hätte bei der Präsentation der Lizenzunterlagen nicht die ganze Wahrheit auf den Tisch gelegt. Von 250.000 Mark Schulden, die Schalke verschwiegen haben sollte, war die Rede. Das verlangte Vermögen sei auch nicht vorhanden gewesen. Am Schalker Markt bangte man um die Lizenz für die nächste Saison. Erst im Juni 1964 wurde das Verfahren vom DFB-Kontrollausschuß eingestellt, weil „keine arglistige Täuschung“ vorlag. Die Vorwürfe konnten entkräftet werden. Das trug aber nicht dazu bei, daß Ruhe in die Mannschaft einkehrte. Besonders der Karlsruher Neueinkauf Günter Herrmann war unzufrieden. Er behauptete immer wieder, der Verein wäre seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen. Er wurde ausgesprochen widerspenstig und kümmerte sich mehr um sein Espresso-Cafe in Moers als um das Training. Matischak war mit 18 Treffern (in nur 22 Spielen) interner Torschützenkönig der Knappen geworden. Aber in der nächsten Saison ist das „Zick-Zack-Matischak“ in der Glückauf-Kampfbahn nicht mehr zu hören gewesen. Schon während der Saison hatte es, als es in der Tabelle immer weiter abwärts ging, Abwanderungsgerüchte gegeben. Und nachdem es in Matischaks Schuhladen, den er mit seinem Mitspieler Manfred Berz betrieb, bereits „Totalausverkauf“ gegeben hatte, verkaufte Klaus Matischak auch sich selbst nach Bremen.

Für `n Appel und `n Ei

Aber es gab auch noch Nachwehen des Skandals. Dr. Georg König, als Vorsitzender des FC Schalke 04 nach dem Prozeß wiedergewählt und rehabilitiert, war sich über eines im klaren: Die finanziellen Belastungen mußten endlich ausgeräumt werden. Die teure Glückauf-Kampfbahn war einer der Gründe gewesen, warum der Verein auf gewisse „Zusatzeinnahmen“ nicht verzichten konnte. Die Stadt Gelsenkirchen entschloß sich zu einem entscheidenden Schritt: Man kaufte dem Verein das Stadion ab. Für 850.000 Mark wechselte das Stadion nach der ersten Bundesliga-Saison den Besitzer – für die alten Schalker nur „‚n Appel und ‚n Ei“, für realistische Betrachter jedoch ein mehr als angemessener Preis. Dabei muß man wissen, daß das Gelände einem großen Industrie-Konzern gehörte. Die Stadt erwarb also nur Tribünen, Umkleideräume und die Mauern ringsum. Es war ein wahrhaft großzügiges Angebot, und die Stadt hätte mit keinem anderen Kontrahenten ein solches Geschäft abschließen können, ohne mächtigen Ärger zu bekommen. Mit Schalke 04 – nun, das war ja wohl selbstverständlich. Die Stadt knüpfte eine Bedingung an diesen Kauf: Der gesamte Vorstand tritt zurück, ein neuer Vorstand sei zu wählen. Man darf annehmen, daß hinter diesem eigentlich recht anmaßenden Angebot auch Dr. König stand, denn er wußte zu genau, daß Schalke genau drei Dinge brauchte: Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe. Dazu gehörte neben der Sanierung auch ein Vorstand, der wenigstens innerlich einig war. Der Vertrag wurde geschlossen, Dr. König trat zurück. Auf der Suche nach einem Mann, der den Neuanfang symbolisieren sollte, erinnerte man sich an Fritz Szepan. Es sprach für ihn, daß es einige Überredung kostete, bis er widerwillig zustimmte, das Amt zu übernehmen. Denn der erste und einzige Schalker, der Spieler, Trainer und Präsident war, war für dieses Amt nicht vorbereitet. Im Grunde war seine Amtszeit ein Rückfall in unprofessionelle Zeiten. Denn so viele Verdienste Szepan auch haben mochte – er zählte nicht zu den Fachleuten, die der Verein nun brauchte.

Der „Feldwebel“ kommt

Es kam die schlimme Saison 1964/65 und mit ihr ein „harter Hund“ als Trainer. Fritz Langner, der wegen seiner Kriegsvergangenheit nur der „Feldwebel“ genannt wurde, sollte wieder für Disziplin und Ordnung sorgen. Langner vertrat den Standpunkt, daß man Berufsspieler – wie in Italien – ordentlich an die Kandarre kriegen muß, damit sie für ihr vieles Geld auch etwas leisten. Der Standpunkt war vielleicht richtig, aber Langner konnte sich damit nicht durchsetzen. Mit seiner Anweisung im Training, „Ihr fünf spielt jetzt vier gegen drei“, machte er sich aber zumindest im Schalker Anekdotenschatz unsterblich. Durchaus guter Hoffnung ging die Schalker Mannschaft – gespickt mit fünf Nationalspielern – in die neue Saison 1964/65. Aber schon nach wenigen Spieltagen fand sich Schalke am Tabellenende wieder. Zwei Unentschieden, vier Niederlagen zum Auftakt. Und dann gegen Dortmund ein 2:6! Schon zur Halbzeit hatten die Dortmunder 6:0 geführt, und später gab der Dortmunder Trainer Eppenhoff zu, daß nur dank seines Schalker Herzens die Niederlage nicht noch höher ausgefallen war. In der WAZ vom 28.9.1964 war „prophetenhaft“ zu lesen, daß sich Schalke nicht darauf verlassen sollte, daß am Ende auch die Bundesliga aufgestockt werde. Gerade siebenmal konnte Schalke in der gesamten Saison gewinnen. Und so stand Schalke am Schluß des zweiten Bundesligajahres an letzter Stelle der Tabelle und sollte zusammen mit Karlsruhe absteigen.

Spieler kommen, Spieler geh‘n

In Schalke herrschte blankes Entsetzen, zum Teil auch Wut gegen die Spieler, die es so weit hatten kommen lassen. Die Kanonen kündigten allesamt, und es ging das Gerücht um, viele Spieler hätten bewußt auf Abstieg gespielt, weil auf diese Weise ihre Verträge gelöst wurden, da sie schon längst bessere mit anderen Vereinen in der Tasche hätten. Willy Schulz ging unter sagenhaft guten Bedingungen nach Hamburg. Als dies bekannt wurde, setzten sich einige Schalker Anhänger demonstrativ auf Stühlen vor seine Kneipe in Günnigfeld und tranken das Bier, das sie ebenso demonstrativ in einer gegenüber liegenden Trinkhalle gekauft hatten. Willy Schulz dazu: „Dat wa mich egal. Die Trinkhalle gehörte mich auch.“ Egon Horst ging ebenfalls zum HSV, Hans Nowak wechselte zu den Bayern, Stan Libuda sogar nach Dortmund.

Standing Ovations

Aber nun kam unter den vielen, fast traditionellen Skandalen einer, der sich zum Segen Schalkes auswirkte. Hertha BSC, durch das Fassungsvermögen des Olympiastadions plötzlich einer der reichsten deutschen Vereine geworden, hatte so unverschämt hohe Summen (auch verbotene Handgelder) beim Einkauf der Spieler gezahlt, daß der DFB sich verpflichtet fühlte einzugreifen. Hertha wurde mit einem Zwangsabstieg bestraft, und es gab wieder einen der berühmten DFB-Eiertänze, wie man die Bundesliga durch die Hertha-Lücke auffüllen konnte. Wie zwiespältig hierbei wieder das Verhalten des DFB war, bewies die Tatsache, daß den Enthüllungen der Berliner, die Verstöße auch bei allen anderen Bundesligisten öffentlich machten, nicht einmal nachgegangen wurde. Der Tabellenfünfzehnte, der Karlsruher SC, war natürlich gerne bereit, den Platz der Berliner zu übernehmen – was dieser auch genehmigte. Doch nun protestierte Schalke: Wenn der sportliche Abstieg nicht zählte, so müßte auch Schalke in der Liga bleiben.

Zu Hilfe kam den Schalkern dabei Ministerialrat Dr. Klein vom Westdeutschen Spielverband. Zwar war der Mann kein Schalke-Fan, aber im DFB-Gerangel der Länder vertrat er den Standpunkt des Westens in einer glänzenden Rede: Eine Bevorzugung der Badener wäre ungerecht. Und weil eine Bundesliga ohne Schalke eben doch nur die Hälfte wert wäre, überzeugte er den DFB-Bundestag in Barsinghausen, der sich nach der eigenen Entscheidung minutenlang selbst beklatschte. In Schalke feierte man die „Rückkehr“ wie die achte Meisterschaft.

Zittersaison 65/66

Die Bundesliga wurde auf 18 Vereine aufgestockt, und für Hertha BSC wurde die Berliner Tasmania neben den beiden regulären Neulingen Bayern München und Borussia Mönchengladbach aufgenommen. Im Zeitalter der Berlin-Sondermarken, kurz nach dem Mauerbau, mußte aus „politischen“ Gründen eine Berliner Mannschaft dabei sein. Die Tasmania-Spieler wurden sechs Wochen vor Beginn der Saison aus dem Urlaub zurückgeholt. Selbst das Radio beteiligte sich an der Rückrufaktion. Viel besser als die Tasmanen, die mit ihrem Negativrekord von 8:60 Punkten Bundesligageschichte schrieben, waren allerdings auch die Schalker nicht gerüstet. Manfred Kreuz und Günter Herrmann waren die einzigen Routiniers, die geblieben waren. Rausch und Becher bildeten in der Abwehr noch etwas Rückhalt, alle anderen waren neu und gerade noch Amateure gewesen. Fichtel, Neuser, Pyka, Pliska hießen die Unbekannten. Niemand wußte, wie dieser zusammengewürfelte Haufen, immer noch trainiert von Fritz Langner, den Klassenerhalt schaffen sollte. Nur Ernst Kuzorra glaubte an den Erfolg: „Ich bin froh, daß die Stars aus unserer Mannschaft heraus sind. Während früher nur auf’s Geld geschaut wurde, kommt es unseren jungen Leuten in der Hauptsache auf das Fußballspielen an. Ich halte unsere jetzige Mannschaft kämpferisch und moralisch sogar für stärker.“

Er sollte recht behalten. Die Mannschaft kämpfte, aber trotzdem gab es erst im achten Spiel den ersten Sieg gegen den HSV. In der Rückrunde mußte Schalke sogar eine 0:7-Niederlage gegen den Erzfeind aus Dortmund hinnehmen – die höchste in der Geschichte des Derbys. Bis zum 32. Spieltag war die Abstiegsgefahr nicht gebannt. Aber die Schalker Fans verließen ihre Mannschaft nicht. Wieder einmal bewährte sich das beharrliche „Trotzdem“ der Anhänger. Die Atmosphäre in der Glückauf-Kampfbahn war mit der heutigen Plastik-Bundesliga nicht zu vergleichen. Es gab keine bösen Sprechchöre gegen den Gegner, keine Pfiffe, wenn mal ein Fehlpaß gespielt wurde. Die Gesänge „Aber eins, aber eins, das bleibt besteh‘n, der FC Schalke wird nie untergeh‘n“ verursachten 90 Minuten Gänsehaut. Mit 508.000 Zuschauern, über 30.000 im Schnitt, war die Zuschauerzahl die höchste in der Bundesliga bis zur Errichtung des Parkstadions. Nicht einmal in der erfolgreichen Saison 1971/72 waren es mehr. Und das obwohl (oder weil?) die Menschen in Gelsenkirchen eigentlich andere Sorgen hatten: Die größte Zeche der Stadt, „Graf Bismarck“, wurde geschlossen. Auch der Gang zur Glückauf-Kampfbahn war eine Form von Protest.

Das Entscheidungsspiel fand am drittletzten Spieltag gegen den direkten Konkurrenten Borussia Neunkirchen statt. Erstmals fuhr die Mannschaft in ein Trainingslager, in die Sportschule Kaiserau. Und am 15. Mai 1966 war es geschafft: Mit 2:0 besiegte Schalke Borussia Neunkirchen. Bechmann und Kreuz waren die Torschützen. Noch lange nach dem Schlußpfiff sangen die Schalker Anhänger „…dann wird der FC Schalke niemals untergeh‘n“. Auch wenn die tausend Feuer in Gelsenkirchen langsam verloschen…