Lothar Dembinski

„Spiel’ mal ohne einen Pfennig Geld um die Deutsche Meisterschaft!”

(rk) Gelsenkirchen-Scholven, Bäckerei Gatenbröcker, direkt an der Feldhauser Straße. Mir gegenüber sitzt Lothar Dembinski, Jahrgang 1946. Er trainierte die Damenmannschaft von DJK Eintracht Erle und wurde mit ihr im Jahre 1974 sensationell Deutscher Vizemeister.

Lothar Dembinski zündet sich eine Zigarette an und nimmt einen Schluck von seinem Filterkaffee. Dann schwelgt er in Erinnerungen. Er erzählt, wie er von einem gewissen „Herrn Ebert” beim Straßenspiel Grenzstraße gegen Liboriusstraße auf dem Gelände einer alten Ziegelei angesprochen wurde, ob er nicht Interesse hätte, nach Schalke zum Training zu kommen. Damals war er 14, erstes Lehrjahr. Interesse hatte er, also ab zum Probetraining, erst als Verteidiger angefangen und dann wurde er als Stürmer eingesetzt: 2:0 gewonnen, eine Bude selbst gemacht und ein Tor aufgelegt.

Später spielte er in der A-Jugend unter Trainer Berni Klodt und in der Westfalenauswahl. In einem Jugendspiel trat er gegen Grün Weiß Hessler an, im Sturm spielte dort damals ein gewisser Norbert Nigbur, bevor er ins Tor beim SV Hessler 06 wechselte. Gegen Hessler 06 traf die Schalker Jugend mit Stürmer Dembinski neun Mal, der Zehnte ging nicht rein, „weil der Norbert gehalten hat wie ein Weltmeister”.

Von der A-Jugend sollte er dann in die Schalker Amateure hochgezogen werden – und es gab sogar die leise Hoffnung, bei der ersten Mannschaft anzuklopfen. „Versuchst du es, versuchst du es nicht? Ich hatte ja als Fliesenleger einen guten Beruf. Mein Chef hat aber gesagt: Mach das! Ich war dann freigestellt, war aber weiter bei der Firma beschäftigt.”

Als der damalige Schalke-Trainer Rudi Gutendorf 1970 zur WM nach Mexiko fuhr, hatte Günter Siebert zwischenzeitlich das Training übernommen. „Und der Günter Siebert, das war ja mein Freund”, so Lothar Dembinski mit einem süffisanten Unterton. Im weiteren Verlauf wird klar, warum. Den Amateuren hatte Siebert nämlich den Geldhahn zugedreht und dabei auch nicht mit offenen Karten gespielt. Und der „Oskar” spielte auch bei der von Lothar Dembinski trainierten Damenmannschaft eine Rolle.

Er zündet sich eine weitere Zigarette an und legt los, das war nämlich so: In einer Gaststätte kam Lothar Dembinski mit einem Betreuer von DJK Eintracht Erle ins Gespräch, der ihn fragte, ob er nicht die Damenmannschaft trainieren wollte. „Das schau’ ich mir am Sonntag erstmal an”, erwiderte Dembinski. Denn skeptisch war er schon.

Frauen und Fußball, das war Anfang der 70er Jahre etwas sehr Außergewöhnliches. Der DFB erlaubte erst im Jahre 1970 die Bildung von Frauenteams. Wegen ihrer angeblich „schwächeren Natur“ mussten sie damals noch eine sechs Monate Winterpause einhalten, Stollenschuhe waren nicht erlaubt, und die Spielzeit betrug zunächst 70, später dann 80 Minuten.

Am Sonntag also zum Spiel und dann traf er einen guten Bekannten, den er noch aus der Jugend von Erle 08 kannte und dessen Frau spielte bei DJK Eintracht. Es gab zu der Zeit nur eine Liga in Gelsenkirchen und „der Gegner bekam dann gleich 12, 13 Stück”. „Das ist aber ‘ne gute Truppe”, dachte sich Lothar Dembinski. Also stürzte er sich in das Abenteuer und wollte bis zum Ende der Saison übernehmen. „Ja, und was soll ich sagen: Jeder Gegner kriegte so zwischen acht und 12 Tore.” Die Mannschaft ist dann Kreismeister geworden und Lothar Dembinski zog langsam das Training an – nicht auf das Niveau, das er bei den Schalker Amateuren gewohnt war, aber es gab schon spürbar härteres Training.

Und dann kam 1974 die Saison mit der ersten Deutschen Meisterschaft im Frauenfußball. In der ersten Runde gab es in Marl gegen den Meister von Recklinghausen einen 3:2-Sieg. Danach ging es gegen die Sportfreunde Siegen, die damals schon eine Nummer im Frauenfußball waren. Aber DJK gewinnt auch in Siegen – mit 2:1. „Wir waren dann schon unter den letzten 16 in Deutschland”, berichtet Lothar Dembinski.

Cover SCHALKE UNSER 107
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Weiter ging es in der Vorrunde zur Deutschen Meisterschaft mit Gruppenspielen gegen die Meister der anderen Landesverbände. Aber der Verein DJK Eintracht Erle spielte damals in der Kreisliga A – und hatte natürlich überhaupt kein Geld. „Und dann spiel’ mal ohne einen Pfennig Geld um die Deutsche Meisterschaft! Nächstes Spiel in Buxtehude. Wie willste nach Buxtehude ohne Geld kommen? Zweites Spiel zuhause gegen Werder Bremen und das dritte Spiel wurde ausgelost und wir haben das Glück gehabt, dass wir nach Berlin zu Tennis Borussia mussten. Wir haben uns zusammengesetzt und gefragt, was wir machen sollen. Sollen wir nicht antreten? Kannste ja nicht machen. Tja, und so sind wir Sammeln gegangen.”

Von der Firma, bei der Lothar Dembinski arbeitete, wurde ein Firmenbus gestellt. Und in der Vereinsgaststätte Bosch hat man gezielt Unternehmer angesprochen, „die nicht arm waren”. Und so bekam man das nötige Geld für Bus, Benzin und Hotel doch irgendwie zusammen. In Buxtehude gewannen die Gelsenkirchenerinnen mit 3:0, beim Heimspiel gegen Bremen gab es schon einen kleinen Hype und es waren 3500 Zuschauer da. „Das hat uns gerettet, so hatten wir das Geld zusammen, um mit Privatautos bis Hannover zu fahren – damals gab’s ja noch die DDR – und von da sind wir nach Berlin geflogen. Tennis Borussia hatte uns ein gutes Angebot für die Übernachtung gemacht. Und das passte so gut, dass wir da auch noch gewonnen haben.”

Lothar Dembinski weiter: „Jetzt waren wir unter den letzten Vier und kriegten dann Bescheid: Am Samstag Anreise um 11 Uhr nach Mainz. Das wäre uns aber alles zu knapp geworden. Ich hab’ dann noch einige Räder in Bewegung gesetzt und wir sind schon am Freitag angereist. Am Samstag dann das Halbfinale gegen den SV Bubach-Calmesweiler. Da gewinnen wir das Spiel 3:0 und stehen im Endspiel. Ich hab gedacht: ’Das ist doch nicht möglich!’”

Das Endspiel um die erste Deutsche Meisterschaft im Frauenfußball wurde einen Tag nach dem Halbfinale vor rund 4000 Zuschauern ausgetragen. DJK Eintracht Erle unterlag gegen den TuS Wörrstadt mit 0:4. Wörrstadt hatte sein Halbfinale bereits am Freitag spielen können und dadurch den entscheidenden Vorteil.

Lothar Dembinski: „Da war nichts mehr zu machen. Erst mal platt von dem Spiel vorher und in der Halbzeit habe ich auch einiges durchgewechselt, damit viele Spielerinnen auch noch ran durften.”
Günter „Oskar” Siebert hatte den großen Erfolg mitbekommen. „Und dann rief mich Günter Siebert an und sagte: ‘Wir würden gern die Damenmannschaft übernehmen.’ Ich sagte ihm, dass ich damit nichts am Hut habe und er das mit anderen regeln müsste.” Günter Siebert wollte sich wohl mit den Erfolgen schmücken – denn der Schatten des Bundesliga-Skandals hing immer noch tief über dem Verein und jede Erfolgsmeldung war wichtig.

Die erste und zweite Frauenmannschaft von DJK Eintracht Erle wechselten dann tatsächlich zu Schalke – ohne Trainer Lothar Dembinski – und spielten in der Bezirksliga, das war damals die höchste Spielklasse. Es gab auch noch einige Erfolge: 1977, 1980, 1981, 1984 und 1985 gewann die erste Frauenmannschaft die Westfalenmeisterschaft. An den großen Erfolg von DJK Eintracht Erle unter Trainer Lothar Dembinski aber kamen die Damen nicht mehr heran.

1987 war Schalke mal wieder pleite. Günter Siebert musste sparen – und als eine Maßnahme löste er die Damenfußball-Abteilung auf. Einige Spielerinnen hörten danach ganz auf, einige wechselten zum SSV Buer. Erst seit letztem Jahr gibt es wieder Frauenfußball auf Schalke.

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