„Ich lass mich ungern verarschen“

Cover SCHALKE UNSER 14
SCHALKE UNSER 14

(bob/os) Seit 10 Jahren müssen wir nicht mehr Sonntag Mittag die Sturmhaube aufsetzen und schamhaft am Kiosk die BamS verlangen, die wir ja nur für den Großvater kaufen. Aufrechten Ganges und offenen Gesichtes ordern wir nunmehr den REVIERSPORT. Anlaß genug für ein Interview mit ULI HOMANN und THOMAS SPIEGEL von der Reviersport­-Redaktion.

SCHALKE UNSER:

Am Anfang war das Feuer: Wie kam es zu der Idee „Reviersport“?

Uli:

Die Überlegung war 1986 zuerst mal, eine Sonntagszeitung als Alternative zur BamS zu machen. Nicht im Stil der taz, sondern populärer, so daß auch Fußball zwingend rein mußte. Wir waren 13 Gesellschafter, davon war ich der einzige, der von Fußball Ahnung hatte, allerdings weniger als Journalist, mehr als Fan. Geplant war eine „Revier-Rundschau“. Gestartet wurde das Projekt mit dem Sportteil, sozusagen zum „Anfüttern“, um den Leuten dann nach einigen Ausgaben zu sagen: „So, diese Sportberichte findet Ihr dann zukünftig in der neuen Revier-Rundschau.“ Angefangen haben wir mit drei hauptamtlichen Redakteuren, wovon einer heute bei SAT1 und der andere, Peter Peters, Geschäftsführer bei Schalke 04 ist. So klein ist die Welt.

SCHALKE UNSER:

Du warst früher Sekretär von Trude Unruh (Graue Panther). Hast du heute noch eine Beziehung dazu?

Uli:

Ich habe damals eine Zeitung für die gemacht, die ich auch heute noch herausgebe. Außerdem habe ich den Bundestagswahlkampf mitgestaltet und war dann als ihr persönlicher Referent im Bundestag. Ich stehe dazu bis zum heutigen Tag, aber die damals herrschende Aufbruchstimmung ist verflogen.

SCHALKE UNSER:

Hat sich die Reviersport-Arbeit im Laufe dieser zehn Jahre verändert?

Uli:

Ja sicher, die hat sich völlig verändert. Damals stand Schalke kurz vorm Abstieg, Dortmund dümpelte auf Platz 13, Duisburg spielte noch in der Oberliga Nordrhein, also ’ne vollkommen absurde Situation, nicht vergleichbar mit der erfolgreichen Zeit heute. Auch die Medienlandschaft hat sich völlig verändert. Das spiegelt sich unter anderem darin, daß die reine Spieldarstellung der Anfänge im Reviersport einer umfangreichen Hintergrundberichterstattung gewichen ist. Denn alles, was die Leute im Stadion und im Fernsehen noch nicht gesehen haben, wollen die Leute in der Zeitung lesen.

SCHALKE UNSER:

Wie seht Ihr Eure Rolle in der Vermarktung und Kommerzialisierung des Fußballs. Wo steht Ihr als Zeitung zwischen ARD, DSF, SAT1 und allen anderen Medien?

Uli:

Ich stehe dieser Sache sehr kritisch gegenüber, denn ich nehme für mich in Anspruch, in dieser Hinsicht ein „Fundi“-Fan zu sein. Ich werde nie einsehen, daß der Fußball eine Rolle spielt in diesem sehr fragwürdigen Showgeschäft, weil ich den Fußball immer für so eine urwüchsige Alternative gehalten habe. Ich hätte nie gesagt: „So, was mache ich denn heute, jetzt gehe ich mal zum Golf oder schaue mir im Fernsehen Segeln an“ (lacht), sondern samstags war Fußball, und da gab’s nix anderes, Feierabend. Was mich stört, ist diese Laufkundschaft, die sich nur interessiert, wenn gerade was los ist, wenn sie bei den Siegern sein können, wie die sich plötzlich immer mehr den Fußball einkassiert haben. Wir können uns da natürlich auch nicht ganz ausklinken, auch wir benötigen Anzeigen, finanzieren uns aber im Gegensatz zu anderen hauptsächlich aus den Vertriebseinnahmen. Immerhin müssen zwanzig Leute davon leben.

Thomas:

Wenn der Uli sich da als Fundi bezeichnet, bin ich wohl eher der Realo. Diese Entwicklung hat nicht nur ihre schlechten Seiten. Mir geht es zwar auch auf den Sack, wenn bei SAT1 Johannes B. Kerner reingeschlindert kommt nach dem Motto „Hah, da bin ich!“, und man denkt, er ist wichtiger als der eigentliche Fußball. Die eigentlichen Spielberichte sind aber zum Teil gut recherchiert. Auch bei „täglich ran“ sieht man viele sehr informative Berichte. Wenn man alleine die Berichterstattung der ARD zu Schalke im UEFA-Cup sieht, weiß man ganz klar, wo die Fachleute sitzen. Klar, wegen mir muß diese ganze Werbung auch nicht sein, aber an der Art, wie an die ganze Sache journalistisch herangegangen wird, sieht man, daß die bei SAT1 mittlerweile sehr viel gute Mitarbeiter haben.

SCHALKE UNSER:

Ist durch diesen Medienboom Eure Arbeit leichter oder schwieriger geworden?

Thomas:

Eindeutig schwieriger: Wenn du z.B. vor der Kabinentür stehst, dann stehen nicht nur die anderen Lokalreporter, sondern auch noch fünf Kamerateams. Es wird immer schwieriger, an die Leute ranzukommen, und wenn ich an meine Kollegen in Dortmund denke, die stehen dann nicht in der zweiten, dritten Reihe, die stehen in der siebten oder achten Reihe. Sich da noch mit jemanden vernünftig zu unterhalten oder ein vernünftiges Interview zu kriegen, ist fast nicht mehr möglich.

Uli:

Nicht nur die Redakteursarbeit vor Ort, auch die Zeitung insgesamt zu halten ist schwerer geworden. Es gibt kaum noch exklusive Sachen, alles ist besetzt. Es ist ein Trugschluß zu glauben, daß sich durch dieses riesige Interesse am Fußball jetzt für Reviersport unmittelbar größere Kundenkreise erschließen lassen. Die Leute, die Fußball nur konsumieren, bei denen hat das sehr enge Grenzen. Wir können das ja an den Verkaufszahlen ablesen: Gewinnt der Verein, ist man dabei, die Woche darauf verlieren sie, und dann ist alles Scheiße (lacht). Die alte Stammkundschaft, die sich wirklich für Ihren Verein interessieren und durch Dick und Dünn gehen und durch Wohl und Wehe, die haben wir auch früher schon gehabt, da macht dieser Boom keinen Unterschied.

SCHALKE UNSER:

Seit wann bist du Fußballfan? Wolltest du immer schon Sportjournalist werden oder evtl. auch Lokomotivführer?

Thomas:

Zuerst, als ich klein war, wollte ich Lehrer werden, weil ich von meinem Grundschullehrer so begeistert war. Fußballfan bin ich schon seit ich fünf Jahre alt bin. Geprägt hat mich da nicht wie in euren Geschichten („Mein erstes Mal“) mein Vater, sondern meine ältere Schwester. Die war damals Schalke-Fan wegen der Kremers-Zwillinge, weil die so popstar-mäßig aussahen. Den Rest tat wohl mein Onkel Arno, und der war natürlich auch Schalke-Fan. Ich weiß genau, daß ich da fünf Jahre alt war, denn da hatte ich einen großen Disput mit meiner Mutter. Ich mußte meine Suppe aufessen, damit ich das Pokal-Halbfinale sehen konnte.

SCHALKE UNSER:

Für uns ist es manchmal unheimlich schwierig, an den Verein heranzukommen. Fällt Euch das leichter, habt Ihr da einen „heißen Draht“?

Uli:

Es kommt darauf an, zu welchen Personen. Es ist z.B. sehr schwierig, den Manager zu erreichen. Das liegt aber allein daran, daß der auch Termine ohne Ende hat. Mit den Spielern ist es ganz einfach. Über die Spieler wird zwar unheimlich viel berichtet, aber unter der Woche ist kaum jemand da. Und wenn man dann ständig präsent ist, merken die Spieler halt, daß man interessiert ist, kennen dein Gesicht und dann geht das relativ unproblematisch.

SCHALKE UNSER:

Was findest du verbesserungswürdig, z.B. an der Pressearbeit von Schalke 04?

Thomas:

Die ist schon sehr viel besser geworden, insgesamt besser organisiert. Alle Leute suchen nach Neuzugängen, aber da bekommt man nichts mehr raus, da halten die dicht. Aber sonst werden wir gut versorgt. Natürlich ist das PR. Das ist Öffentlichkeitsarbeit, die nicht in erster Linie Probleme anspricht, aber das kann man ja auch nicht erwarten.

SCHALKE UNSER:

Bald kann man wahrscheinlich Lars Ricken als aufblasbare Puppe kaufen. Wie seht ihr diese Entwicklung, kann es noch schlimmer werden? Ist ein Ende dieses Wahnsinns in Sicht?

Uli:

Tja, daß der nicht aufhören wird und daß der noch absurdere Blüten treibt, das befürchte ich. Man hat das Gefühl, die glauben, daß Fußball-Fans per se dumm sind. Anders kann ich mir manche Dinge nicht erklären. Und ich muß gestehen, leider haben sie in manchen Fällen auch nicht ganz unrecht. Wenn ich da an unser Kaufhaus in Witten denke, wo es also nach Dominosteinen, Milch und Joghurt alles in gelb-schwarz gibt. Entsprechend teurer natürlich wegen der Lizenzgebühren, und die Leute kaufen das wirklich! In diesem Umfeld fühle ich mich natürlich sehr deplaziert.

Wenn das die neuen Fußball-Fans sind, habe ich damit wenig zu tun. Und ich fühle mich dann auch so ein Stück unglücklich, weil ich ein besonderes Bild von dieser besonderen Art der Freizeitgestaltung hatte. Das war für mich immer eine Mischung aus Augenzwinkerei und Ernsthaftigkeit, aus Affenliebe, auch Distanz – also ’ne schwierige Sache, die man natürlich überhaupt nicht unterbringen kann in so einer „Fankultur“ mit „Popstars“. Ich habe ein völlig anderes Bild, und das stimmt nicht überein mit diesen Abziehbildern. Da werden Klischees aufgebaut und bedient. Ich laß‘ mich ungern verarschen. Ich habe immer die Hoffnung gehabt, daß das viele sagen: „Haut doch ab mit Eurem Scheiß-Marketing!“ Da habe ich sehr drauf gesetzt und das ist leider nicht eingetroffen.

SCHALKE UNSER:

Wie werden die nächsten zehn Jahre? Endlich pink wie die Gazzetta dello Sport? Welche Entwicklung ist beim Reviersport zu erwarten?

Uli:

Ich spreche mal für den Verlag. In der Tat ist es für uns ein ständiger Überlebenskampf, wir sind nicht auf Rosen gebettet und wir müssen gucken, wie wir überleben. Wir profitieren aber im Moment auch ein Stück von diesem Boom, auch von der glücklichen Situation, daß es da spannende Spielpaarungen gibt und damit auch ein großes öffentliches Interesse. Wir hoffen, daß wir in den nächsten zehn Jahren eine farbige, spannende Zeitung machen können, und versuchen, mit jeder Ausgabe besser zu werden. Außerdem werden wir zukünftig auch eine Montagsausgabe machen, um auch den Sonntagssport mitzunehmen, also vor allem den Amateurfußball. Das ist ein ganz wichtiges Standbein für uns, da berichtet keiner drüber. Wir werden in Zukunft dreimal wöchentlich erscheinen. Und auf jeden Fall nicht in Pink.

SCHALKE UNSER:

Was haltet Ihr als Profis von der Rechtschreibreform?

Thomas:

(lachend) Nicht nur, daß wir sie verinnerlicht haben, wir praktizieren sie ja schon seit Jahren …

Uli:

Im Ernst, aufgrund der technischen Notwendigkeiten und der Tatsache, daß wir in vier Stunden 25 Seiten produzieren müssen, sind Fehler drin, Punkt. Die Zeit geht rum wie nix, und besser kann man es kaum machen.

SCHALKE UNSER:

Thomas, jetzt wirst du geoutet, jetzt geht’s um deine heimlichen Bräute. Was sagten dir die Nummer „7″ und „Dieux“?

Thomas:

(lacht) Ja, Gott wandelt auf Erden… im Trikot von Manchester United. Ich bin natürlich Schalke-Fan, ich bin aber auch ebenso großer Bewunderer des englischen Fußballs wegen der Spielart. Seitdem ich für den Reviersport arbeite, kann ich auch nicht mehr in der Kurve stehen und muß die Sache rational von der Pressetribüne aus betrachten. Das gelingt mir zwar auch nicht immer, es gibt immer Momente, da bricht das Fan-Sein durch. Wenn Andi Müller das 2:1 gegen Bayern schießt oder wenn vor dem Spiel gegen Valencia Stimmung ohne Ende im Parkstadion ist, da gehen mir echt noch Gänsehäute rauf und runter. Aber dort kann ich das nicht ausleben, und insofern ist es dann gut, wenn ich noch einen anderen Verein habe, nämlich Manchester United, um meine Fußballeidenschaft richtig ausleben zu können.

SCHALKE UNSER:

Wie seht ihr die Fanszene ?

Uli:

Wichtig ist, daß es nicht nur den konsumierenden Fan gibt, sondern auch Fans, die den Fußball und auch den eigenen Verein, kritisch hinterfragen. Ihr schafft es jedesmal aufs Neue, mit dem SCHALKE UNSER auf ironische Art und Weise auf Mißstände aufmerksam zu machen. Das zeigt, es gibt einen „neuen“ Fan, der nicht nur konsumieren will, sondern aus Spaß an der Sache dabei ist und daß Fußball auch etwas mit Intelligenz zu tun hat. Das ist eine wichtige Entwicklung, die ein Stück der Fußballkultur erhalten kann. Im Prinzip eine logische Gegenentwicklung gegen die Hool- und Faschoszene, die sich im Fußballumfeld breitgemacht hat.

SCHALKE UNSER:

Auf die nächsten zehn Jahre. Glückauf.