(cr/jb) „Der beste Einkauf seit Marc Wilmots.“ So lautet das einhellige Urteil über Gerald Asamoah. In kürzester Zeit hat sich „Blondie“ mit seiner Spielweise und seiner Unbekümmertheit in die Herzen der Schalker gedribbelt. SCHALKE UNSER sprach mit ihm über Fußballschuhe, Gott, Elektrokardiogramme und Haarfarben.
SCHALKE UNSER:
Gerald, du bist schon als kleines Kind nach Deutschland gekommen.
GERALD ASAMOAH:
Ursprünglich komme ich aus der Stadt Mampong in Ghana. Von dort bin ich mit sechs Jahren in die Hauptstadt gezogen, wo ich bei meinen Tanten gelebt habe, weil meine Eltern schon in Deutschland waren. Mit acht kam ich ins Internat, bis ich zwölf war. Mein Vater war damals Journalist in Ghana und sollte in Deutschland seine Ausbildung fortsetzen. Leider stieß er noch auf rassistische Vorbehalte. Ein Schwarzer als Journalist? Das konnten sich viele nicht vorstellen. Er brach ab und beschloss, wenigstens in Deutschland Geld zu verdienen und nach Afrika zur Familie zu schicken. Mein Vater hat dann erst meine Mutter rübergeholt, und als ich zwölf war, haben sie mich dann nachkommen lassen, und zwar deshalb, weil ich in Ghana zuviel Fußball gespielt habe.
SCHALKE UNSER:
Zuviel Fußball? Warst du zuwenig in der Schule?
GERALD ASAMOAH:
Nicht direkt, aber ich habe zu viele Narben gehabt, weil wir in Ghana barfuß spielen, und meine Mutter wollte das nicht. Ich hab‘ sogar Fußballschuhe von meinem Vater bekommen, aber ich hab‘ nicht so gern da drin gespielt. Alle spielten barfuß, und du kannst doch nicht als Einziger mit Fußballschuhen spielen. Als ich klein war und mit Schuhen zum Fußballspielen gegangen bin, habe ich sie also ausgezogen, und wenn ich nach Hause gegangen bin, habe ich sie immer vergessen. Als ich wiederkam, waren die Schuhe weg. Da musste ich ein paar Mal sogar barfuß zur Schule gehen, weil meine Oma sauer war, dass ich meine Schuhe verloren hatte. Dann hat meine Mutter gesagt, jetzt holt sie mich hier rüber, dass ich hier keinen Fußball mehr spiele. Und hier wurd’s dann noch schlimmer. Zwar mit Schuhen, aber ich habe noch viel mehr gespielt.
SCHALKE UNSER:
Hast du hier sofort in einem Verein gespielt?
GERALD ASAMOAH:
Nicht sofort, aber fast: Mit 13 fing ich bei BV Werder Hannover an. Dort war ich fast drei Jahre, bis ich durch Zufall nach Hannover 96 kam, wo schon mein Cousin spielte. Er war in der zweiten B-Mannschaft und meinte: „Trainiere doch bei uns mit!“ Wieder zufällig traf ich einen Freund, der in der ersten B spielte und sagte: „Du kannst auch bei uns mittrainieren!“ Ich wusste nicht so recht, aber da kam gerade der Trainer um die Ecke und meinte: „Ja, du kannst ruhig mittrainieren.“ Das habe ich gemacht, und ich war wohl gut, denn der Trainer wollte mich gleich haben. So wechselte ich kurz darauf nach Hannover 96 und habe dort in der B-Jugend gut eingeschlagen. Die Profis sind dann in die 3. Liga abgestiegen, da mussten sie auf die Jugend bauen. Ich hatte ein Jahr in der A-Jugend gespielt und sollte dann mit hochkommen. Von allen aus der Jugend war ich der Einzige, der richtig eingeschlagen hat. Ich habe es geschafft, auch wenn natürlich viel Glück und Zufälle mitgeholfen haben.
SCHALKE UNSER:
Otto Addo hast du dann erst bei den Profis kennengelernt?
GERALD ASAMOAH:
Ja, er kam aus Hamburg, wo er auch in der Regionalliga gespielt hatte. Und als Schwarze, beide aus Ghana, hatten wir schon etwas gemeinsam und haben uns prompt angefreundet. Wir haben auch nach wie vor Kontakt miteinander.
SCHALKE UNSER:
Hast du ihm zur Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb gratuliert?
GERALD ASAMOAH:
(guckt uns fragend an)
SCHALKE UNSER:
Na, zum UEFA-Cup-Wettbewerb.
GERALD ASAMOAH:
(lacht) Nee, gratuliert habe ich ihm nicht. Aber wir ärgern uns schon immer gegenseitig, wenn auch nur im Spaß.
SCHALKE UNSER:
Nochmal zum schwarzen Kontinent: Wie sieht es aus mit Profi-Fußball in Afrika?
GERALD ASAMOAH:
Okay, was die da verdienen, damit kann man da auch leben. Im Vergleich zu Europa ist das natürlich nicht gerade riesig viel Geld. Daher ist das Ziel aller guten afrikanischen Spieler, hierhin zu kommen, und entsprechend viele Berater laufen dort rum und versuchen, Spieler nach Europa zu bringen.
SCHALKE UNSER:
Bist du denn auch mal als Zuschauer ins Stadion gegangen?
GERALD ASAMOAH:
Ja, aber eigentlich nur einmal, wobei man die Stadien nicht mit denen hier vergleichen kann. In Ghana werden jetzt noch ein paar Stadien gebaut, weil die jetzt Afrika-Cup spielen. Nicht riesengroß, und man baut mit Holz. Es werden ein paar Stühle oder Bänke hingestellt, und dann geht das schon. Das Problem ist, es dürfen vielleicht nur 60.000 rein, aber es sind, sagen wir mal, 80.000 drin. Die klettern irgendwo drüber, sitzen auf dem Dach und so weiter. Und dann ist da richtig Stimmung.
SCHALKE UNSER:
Ist es dort bekannt, dass du hier so ein guter Spieler bist?
GERALD ASAMOAH:
Ja, im Nachhinein ist das herausgekommen. Jetzt, wo sie wissen, was sie von mir erwarten können, wollen sie, dass ich für Ghana spiele, aber ich würde lieber für Deutschland spielen.
SCHALKE UNSER:
Du hast mal gesagt, du würdest sonst zu oft für Schalke fehlen, wenn du so weit reisen musst.
GERALD ASAMOAH:
Ich denke da auch ein bisschen an mein Herz und meine Gesundheit. Ich wollte aber auch nicht gleich im ersten Jahr hier so viel fehlen. Das kann ich auch mir nicht antun, ich muss meinen Stammplatz erkämpfen.
SCHALKE UNSER:
War Schalke dein Wunschverein?
GERALD ASAMOAH:
Okay, ich hatte schon viele Angebote. Nachdem man aber mit einigen Vereinen gesprochen hat, merkt man auch, dass manche ein bisschen Angst haben wegen dieser Herzgeschichte. Wenn du das merkst, denkst du auch, warum soll ich da hingehen? Und ich weiß ja, wie ich spiele, wie meine Spielweise bei den Fans ankommt. Und als ich mit dem Manager gesprochen habe, habe ich gedacht, ich zieh‘ das durch. Ist egal, wie. Das erste Jahr kann vielleicht ein Lehrjahr sein, und im zweiten kann ich dann richtig angreifen. SCHALKE UNSER:
Und jetzt warst du bei allen Pflichtspielen von Anfang an in der Mannschaft.
GERALD ASAMOAH:
Ja, da hat ja keiner mit gerechnet, dass ich das schaffen würde. Ich profitiere dabei von Youris Verletzung, wobei das natürlich nicht heißt, dass ich mich darüber freue. Aber dadurch habe ich einfach meine Chance bekommen und genutzt.
SCHALKE UNSER:
Und die Fans finden es auch super, dass und wie du spielst, rufen deinen Namen.
GERALD ASAMOAH:
Das habe ich auch schon gemerkt. Wenn ich auf dem Platz stehe, gebe ich immer 100 Prozent, und so denke ich, hier passe ich irgendwie hin.
SCHALKE UNSER:
Nach dem Training drängeln sich alle nach Autogrammen. Das ist schön, aber manchmal sicher auch lästig.
GERALD ASAMOAH:
Ich freue mich eigentlich immer, wenn ich unterschreiben kann, schon in der Schule wollte ich unbedingt immer Autogramme für alle schreiben. Ich fand das schön!
SCHALKE UNSER:
Hast du schon mal mit einem anderen Namen unterschrieben, zum Spaß?
GERALD ASAMOAH:
In Hannover wurde man manchmal gefragt: „Bist du Otto oder der Asamoah?“ Wir haben dann schon manche verarscht, „Ja, ich bin Otto“, das war gut. Oder ich habe zum Spaß für Otto Addo unterschrieben und er für mich.
SCHALKE UNSER:
Hatte Otto Addo nicht auch ein Angebot von Assauer?
GERALD ASAMOAH:
Otto und ich wollten eigentlich immer zusammen wechseln. Deswegen hatten wir beide zuerst einen Vertrag in Bielefeld unterschrieben. Irgendwann mussten wir uns aber entscheiden. Es sah erst gut aus, dass wir beide zu Schalke wechseln, aber dann kamen die Dortmunder dazwischen. Aber warum sollte ich mit 20 Jahren zu so einer Mannschaft wechseln? Ich habe Zeit und will lieber unten anfangen als oben. Okay, Schalke ist natürlich nicht unten, spielt aber auch nicht in der Champions League. Ich muss schon eine Chance haben, auch zu spielen, das war mein Ziel. Da war Geld nicht so wichtig. Also habe ich mich für Schalke entschieden und bin hier auch zufrieden. Naja, am Anfang war ich schon ein bisschen einsam, weil ich hier allein lebe, aber das ist jetzt schon besser geworden.
SCHALKE UNSER:
Dein Bruder ist jetzt auch zu dir gezogen?
GERALD ASAMOAH:
Ja, der wohnt jetzt bei mir. Er ist erst 15, aber er hört auf mich und baut keinen Scheiß. Er ist hier auch neu und hat noch keine Freunde, aber er ist ganz anständig. Erstmal geht er noch zur Schule, hier im Berger Feld. Und er spielt auch Fußball, ich habe ihn gleich hier bei der B-Jugend angemeldet. Meine Eltern haben in Hannover einen afrikanischen Laden, um den sie sich kümmern müssen. Hier habe ich mehr Zeit für ihn, und ich bin auch nicht mehr so allein.
SCHALKE UNSER:
Du bist ja auch noch nicht sehr alt, aber trinkst du nur Apfelschorle und machst überhaupt keinen Mist?
GERALD ASAMOAH:
Nein, ich trinke jedenfalls überhaupt keinen Alkohol, da habe ich Bedenken wegen meines Herzens. Ich habe vorher nie etwas gemerkt, aber man weiß ja nie. Eine Woche, bevor das mit meinem Herzem rauskam, war ich krank und konnte gar nicht trainieren. Vor einem Spiel esse ich auch vorher nichts. Dann habe ich 90 Minuten durchgespielt, und danach bist du richtig fertig. Nach dem Auslaufen kam ich in den VIP-Raum, und mir wurde kurz schwindelig. Es war auch zu warm da drin. Da habe ich meinen Kopf vier Sekunden auf den Tisch gelegt und hatte Schweißausbrüche. Als Vorsichtsmaßnahme sollte ich am nächsten Tag zum Arzt gehen. Sie haben mich lange untersucht und meinten auf einmal, ich hätte angeblich etwas am Herzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es daran lag. Jeder Mensch würde wohl schlappmachen, wenn er morgens nichts isst, dann 90 Minuten rennt, und das kurz nach einer Grippe. Es ging mir danach wieder supergut. Und dann stellen sie sowas fest – das zu erleben, war richtig schwer für mich, denn es hieß: „Du kannst kein Fußball mehr spielen.“ Und für mich war Fußball alles. Okay, ich habe meinen Realschulabschluss gemacht, aber keinen Beruf gelernt. Ich war ja schon mit 17 Jahren in der ersten Mannschaft. Da macht man sich Gedanken: „Was mache ich jetzt – ohne Fußball?“ Deswegen habe ich auch nicht so schnell aufgegeben. Ich bin auch sehr gläubig, das war dann meine Stärke. Gott hilft jedem aus der Klemme. Zum Glück kann ich wieder spielen, wenn auch mit Risiko. Ich nehme jetzt jeden Morgen Tabletten und habe nie Beschwerden. Und wenn doch, ist es besser, davon jetzt zu wissen. Zwickt es, bin ich vorsichtiger; wüsste ich es nicht, würde ich es nicht ernst nehmen und vielleicht auf dem Platz zusammenklappen. Viele fragen mich, ob es mich stört, dass dieses Gerät am Spielfeldrand bereitsteht, aber das tut es nicht. Das glauben mir viele nicht, dass ich im Spiel nie daran denke. Ich habe mein Vertrauen in Gott, und der weiß, was passiert und weiß, wann Schluss ist. Deswegen habe ich nie Angst. Wenn ich sie hätte, brauchte ich nicht mehr auf den Platz gehen.
SCHALKE UNSER:
Wie ist das mit deinem Glauben, unterscheidet sich der vom europäischen christlichen Glauben?
GERALD ASAMOAH:
Das ist alles gleich, auch die Bibel und alles. Nur unser Gottesdienst ist nicht so ruhig und langweilig. Da wird immer richtig gefeiert und gesungen, eine schöne Stimmung. Die Kirche heißt „Pentikos“. Die nächste Kirche ist in der verbotenen Stadt, aber bei Düsseldorf ist auch eine. Ich versuche sonntags noch in Hannover zum Gottesdienst zu kommen. Ich finde viele wichtige und schöne Sätze in der Bibel, und meine Maxime ist daraus: „Mit Gott ist alles möglich.“
SCHALKE UNSER:
Auf Huub Stevens wurden vor der Saison hohe Wetten angeboten, dass er als erster Bundesligatrainer gehen muß. Das ist zum Glück erst einmal kein Thema mehr. Wie kommst du mit ihm zurecht?
GERALD ASAMOAH:
Och, ganz gut. Wenn er mich aufstellt, ist er wohl auch mit mir zufrieden und ich mit ihm. Er verlangt viel, versteht aber auch Spaß. Wir haben viel Spaß, aber wenn du auf dem Platz steht, will er, dass du dich konzentrierst. Er steht auf Disziplin, was er sagt, musst du machen, dann kommst du mit ihm zurecht. Wenn nicht, dann ist er sauer.
SCHALKE UNSER:
Und die Spieler? Redest du viel mit Jiri?
GERALD ASAMOAH:
Ich ärgere ihn so gern. Jiri Nemec wirkt immer völlig müde. Aber auf dem Platz geht er ab, unglaublich. Das imponiert mir. Er gibt keine Interviews, und wenn wir fünf gegen zwei spielen, geht er nie in die Mitte. Yves meint immer, daß ich angeblich nie tragen helfe beim Training. Ich würde immer abwarten, bis die anderen alle Hütchen oder Leibchen genommen haben. Yves hat immer was zu meckern, aber das ist Spaß, wir verstehen uns gut.
SCHALKE UNSER:
Nun ist die Nationalmannschaft dein Ziel?
GERALD ASAMOAH:
Jeder Spieler will das wohl, egal woher er kommt. Ich bin 21, bin noch jung und denke, ich könnte das irgendwie schaffen. Für Ghana hätte ich ja schon spielen können, aber ich will für Deutschland spielen. Jetzt will ich mich erst einmal für die U21 anbieten, aber dafür muss ich erst bei Schalke meine Leistung bringen. Die Einbürgerung läuft seit einiger Zeit, vielleicht bekomme ich sie noch in diesem Jahr.
SCHALKE UNSER:
Was hältst du vom Spitznamen, den Rudi Assauer dir gegeben hat?
GERALD ASAMOAH:
Okay, ist lustig irgendwie. Ein Schwarzer als „Blondie“; auch komisch, aber ich komme damit zurecht, kein Problem. Ja, ich habe schon überlegt, mal bei einem Heimspiel im Parkstadion richtig als Blondie einzulaufen, das sollte ich mal machen. Warten wir es mal ab.
SCHALKE UNSER:
Ist Schalke auf einem guten Weg?
GERALD ASAMOAH:
Wir haben gute Spiele geliefert, aber die Tore nicht gemacht. Etwa gegen Bayern, da haben wir super gespielt. Jede Mannschaft hat zuviel Respekt vor Bayern, ich habe aber eigentlich keine Angst vor Spielern, sonst könnte ich gleich einpacken. Nicht auszudenken, wenn wir die Punkte alle geholt hätten. Aber wenn wir uns reinhängen, können wir unser Ziel erreichen, vorne mitzuspielen. Teilweise haben wir ja nicht schlecht gespielt, und ich denke, dass es noch besser wird, je länger wir uns kennen.
SCHALKE UNSER:
Vielen Dank für das Gespräch. Glückauf.