Ruhrstadion Bochum von Außen

VfL Bochum: Auch in der Ausgliederung eine graue Maus

(sw) 2017 hat der VfL Bochum die Ausgliederung auf der Jahreshauptversammlung beschlossen. Allein: Es findet sich kein Investor.

Am 7. Oktober 2017 stimmten mehr als 80 Prozent der anwesenden VfL-Mitglieder in der Bochumer Jahrhunderthalle für die Ausgliederung. Große Zustimmung für den Abschied vom eingetragenen Verein könnte das gewesen sein. Ausschlaggebend war aber wohl ein Taschenspielertrick. Der Filmemacher und Bochum-Fan Gerrit Starczewski hatte damals gegenüber dem SCHALKE UNSER gemutmaßt, dass die überraschend hohe Besucherzahl der Jahreshauptversammlung den Einfluss der kritischen Fans minimiert habe.

Macht man die Rechnung auf, gibt sie Starczewski recht. Ungefähr 2700 Mitglieder waren anwesend. Knapp 2200 stimmten dann für die Ausgliederung, mehr als 80 Prozent. 500 Mitglieder stimmten dagegen. Laut Starczewski kann die aktive Fanszene gut 400 Mitglieder aufweisen. Schaut man nun auf die Besucherzahlen vergangener Jahreshauptversammlungen, fällt auf: 2015 waren 500 und 2016 knapp 800 Mitglieder anwesend. Der Stimmanteil der aktiven Fanszene hätte also bei 80 beziehungsweise 50 Prozent gelegen. Beides hätte ausgereicht, um die Ausgliederung zu verhindern.

Ruhrstadion Bochum

Warum überhaupt 2700 Mitglieder den Weg in die Jahrhunderthalle fanden? Antwort könnte eine Mitgliederkampagne des VfL sein. Unter dem Versprechen eines Herbert-Grönemeyers-Konzerts im Ruhrstadion hatte der Verein die 10.000-Mitglieder-Marke ins Visier genommen. Die Neumitglieder zeigten sich jedoch weniger interessiert an der Vereinspolitik. Das wussten Vorstand und Aufsichtsrat auszunutzen, vermutete Starczewski damals. Er erinnerte sich daran, dass Vereinsorgane kritische Fragesteller als Fußballromantiker abgestempelt hatten und so bei den Neumitgliedern den Eindruck hinterließen, dies sei etwas Lächerliches. Die Neumitglieder zeigten sich leicht zu beeinflussen, fasste Starczewski zusammen. Die Aktion zur Werbung neuer Mitglieder war gestartet worden, bevor Vorstand und Aufsichtsrat ihre Ausgliederungspläne veröffentlichten.

Außerdem war Druck auf die Mitglieder ausgeübt worden, dass sich das handelnde Personal aus dem Verein zurückziehen würde, wenn nicht für die Ausgliederung gestimmt würde. So berichtete zumindest die Fan-Organisation „echt VfL“. Die Gruppierung, die sich für den Erhalt des eingetragenen Vereins einsetzte, hat die Vorgehensweisen vor der Ausgliederung kritisch beäugt. „Hoffnung auf Liga 1 und Panik vor Liga 3“ sei geschürt worden. Sportliche Idole äußerten sich öffentlichkeitswirksam pro Ausgliederung. Außerdem wurden Ausgliederungsgegner gezielt diffamiert. „Ratten, die das sinkende Schiff verlassen“ seien sie, sagte der legendäre Bochumer Reporter Günther Pohl, laut „echt VfL“. Auf der Jahreshauptversammlung selbst bezichtigte Vorstand Wilken Engelbracht die Ausgliederungsgegner eines unfairen Wahlkampfes. „Fassungslos“ sei man, hatte „echt VfL“ in einer Erklärung auf Facebook geschrieben. Es habe keine faire Diskussion gegeben.

Mit dem Ende der Abstimmung brach der Konflikt zwischen Ausgliederungsgegnern und -befürwortern innerhalb der Fans offen aus. Mit Sprechchören wurden die Ausgliederungsgegner verhöhnt. Umgekehrt verließen Teile der aktiven Fanszene den Veranstaltungsort und warfen mit Stühlen und Getränkebechern. Fragt man heute bei denen nach, die sich 2017 gegen die Ausgliederung gestemmt haben, bekommt man nur selten eine Antwort. Ein Ausgliederungsgegner erklärt, er habe mit dem VfL abgeschlossen. Andere hätten sich aus Fan-Organisationen zurückgezogen, berichtet er.

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Laut einem Artikel einer großen deutschen Boulevardzeitung aus dem Jahr 2017 wollte der VfL damals innerhalb von fünf Jahren zusätzlich 20 Millionen Euro generieren und dafür 20 Prozent der Anteile verkaufen. Knapp drei Jahre davon sind nun verstrichen. Einen Investor hat der Fußballverein aus dem tiefen Westen noch nicht. Dabei hatte Hans-Peter Villis, Vorstandsvorsitzender des Vereins, auf der Mitgliederversammlung 2019 gesagt, es gebe Interessenten. Gegenüber der WAZ erklärte er im Januar in einem Interview, man wolle einem Investor kein Mitspracherecht in sportlichen Fragen einräumen und ihm nur einen Aufsichtsratsposten einräumen. Sein Stellvertreter Martin Kree schob in diesem Interview hinterher: „Der Markt ist nicht groß, für keinen Zweitliga-Verein.“

Sportlich ist der VfL in dieser Zeit die graue Maus geblieben, die er schon lange ist. In der Saison der Ausgliederungsentscheidung endete man mit acht Punkten Rückstand auf die Aufstiegsrelegation und acht Punkten Vorsprung auf die Abstiegsrelegation. In der Saison 2018/2019 hätten 13 Punkte für den dritten Platz gefehlt – der Vorsprung auf den 16. Platz betrug neun Punkte. Am Ende der Saison 2019/2020 betrug der Abstand auf die beiden Relegationsplätze jeweils neun Punkte.

Auffällig: Der VfL hätte auf dem Transfermarkt seit der Ausgliederung deutlich mehr Geld erlösen können. Allein seit der Ausgliederung verließen unter anderem Kevin Stöger (Düsseldorf), Jan Gyamerah, Lukas Hinterseer (beide HSV) und die Talente Görkem Saglam (Willem II) und Tom Baack (Jahn Regensburg) den Verein ablösefrei. Wichtige Spieler ablösefrei zu verlieren: ein Problem, das man auf Schalke nur zu gut nachvollziehen kann. Hätte der Spieler marktwertgerechte Ab-
lösen (Schätzungen gemäß des Internet-Portals Transfermarkt) für diese Spieler erzielt, hätte man bereits mehr als ein Drittel der 20 Millionen eingenommen, die die Ausgliederung bringen soll. Macht man die (zugegebenermaßen Milchmädchen-)Rechnung auf und rechnet das Geld auf fünf Jahre hoch, in denen die Ausgliederungs-Erlöse erzielt werden sollten, kommt man immerhin auf 17 Millionen – annähernd so viel, wie die Ausgliederung hätte in die Kasse spülen sollen.

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