„Wir haben das beide als einen Joke empfunden“

(cr/jb) Die Wogen schlugen hoch, als Schalke die Verpflichtung von Thorsten Legat bekannt gab. Erst vor kurzem war der Ex-Bochumer wieder in die Schlagzeilen geraten, sein letzter Verein VfB Stuttgart hatte ihn als angeblichen Rassisten entlassen. Was für ein Mensch ist Thorsten Legat, und wie denkt er heute über sein damaliges Verhalten gegenüber dem farbigen Mitspieler Pablo Thiam?

Cover SCHALKE UNSER 25
SCHALKE UNSER 25

SCH ALKE UNSER:
Dein Vater war Bergmann, eine harte Arbeit …

THORSTEN LEGAT:
Ja, unter Tage, das ist natürlich hart – ich bewundere die Leute. Die Intensität, die die Leute da unten verbringen, vom Körperlichen her! Kein Vergleich, was Fußballspieler und andere arbeiten, im Büro. Das ist noch richtige Knüppelarbeit.

SCHALKE UNSER:
Kannst du dir das vorstellen, unter Tage zu arbeiten und am Wochenende Fußball zu spielen?

THORSTEN LEGAT:
Kein Problem. Ich bin einer von hier, aufgewachsen in der Familie mit vier Kindern, Vater und Mutter. Papa jedesmal gearbeitet, Mutter Raumpflegerin gewesen, meine Geschwister und ich mussten alles Geld abgeben, das war halt so. Ich war der Jüngste… mir braucht man das nicht erzählen. Ob ich das heute schaffen könnte, das ist die eine Frage. Die Intensität des Fußballs ist ja auch so hoch, dermaßen gestiegen, durch die enorme Leichtathletik da. Also, ich könnt’s mir nicht vorstellen… ach, vorstellen könnte ich’s mir schon. Arbeiten und Fußball spielen, ist kein Problem. Ich bin ja ‚n Junge aus‘m Kohlenpott.

SCHALKE UNSER:
So ganz stimmen die Legenden wohl auch nicht, dass die Schalker Spieler früher die ganze Woche unten geschuftet haben und am Wochenende nebenbei Meister wurden. Die Kumpels haben gesagt, okay, wir machen mal ’ne Kiste Kohlen für dich mit und du ruhst dich aus, damitte fit bis auf‘m Platz.

THORSTEN LEGAT:
Das ist wahr, darüber habe ich mit mit meinem Vater auch gesprochen. Im ersten Augenblick konnte ich gar nicht verstehen, andere in unserer Siedlung haben einen schönen Benz gefahren. Mein Vater musste viel mehr arbeiten. Von denen wurde ich dann noch gehänselt und runtergeputzt.

SCHALKE UNSER:
Im Ruhrgebiet gehänselt, weil dein Vater Arbeiter war?

THORSTEN LEGAT:
Ja sicherlich, sowenig Geld und so. Ich bin in Bochum-Werne aufgewachsen, und ich musste auch Kleidung von meinen Geschwistern anziehen, da gab’s nichts. Die anderen haben mich dann immer gehänselt, weil ich so asozial wäre… das habe ich mitmachen müssen… auch in der Schule. Ich bin zu meiner Mutter gegangen, wie wär‘ das, ich möchte auch mal ’ne neue Hose, neue Schuhe haben… ging nicht. Aber deshalb bin ich heute stolz darauf, dass ich meinen Eltern etwas geben kann. Ich bin nach acht Jahren wieder hier, und ich bin heilfroh, wieder im Pott zu sein. Diese Sprache alleine… ich habe die ganzen Jahre immer nur Druck von oben bekommen. Und alle sagten, wenn du in den Pott kommst, da ist alles schwarz und dann biste dreckig… ja ehrlich! Die haben gar keine Ahnung. Die wissen gar nicht, wie schön das hier ist.

SCHALKE UNSER:
Als gebürtiger Bochumer, bist du VfL-Fan gewesen? Vielleicht als Kind?

THORSTEN LEGAT:
Nein. Nie. Ich hatte wohl ein Vorbild bei Bochum, das war der Martin Kree. Aber ich war nie VfL-Bochum-Fan. Ich hab immer Schalke gemocht. Die Kulisse hat mir so imponiert damals. Klaus Fischer hat ja mit mir zusammengespielt, ich hatte ihn auch als (Co-)Trainer. Und ich war ja auch in Verhandlungen mit 18, Schalke wollte mich unbedingt haben, aber da hatte ich ein bisschen Angst, weil ich zu naiv war. Und heute bereue ich es nicht, ich bin überglücklich, dass ich hier spielen darf. Die Leute sprechen hier meine Sprache. Die haben mich so herrlich aufgenommen, als ob ich immer schon hiergewesen bin, also… das issen Traum, die Fans – das issen Traum. Anfangs habe ich gedacht, ja gut, die werden mich auspfeifen jetzt, aber gar nichts. Ich hab‘ mich ganz realistisch verhalten, wie sich das für einen Ruhrpottler gehört, wie‘n Arbeiter…

SCHALKE UNSER:
Wir haben vor acht Jahren mal im Ruhrstadion gespielt, da schallten uns Gesänge entgegen, voller Hass. Ist das … Neid?

THORSTEN LEGAT:
Ja, du sprichst es ja schon an, irgendwie eine Rivalität. Und jeder sagt schon immer, Schalke hat mehr Fans, da passen mehr Leute ins Stadion, ein gut geführter Klub. Zwar war das Bochumer Stadion sicher das schönste in ganz Europa, aber die Fans sind sicher genauso eingefleischt wie Schalker… Deshalb verstehe ich das nicht. Wir sind ein Ballungsgebiet, warum halten wir nicht zusammen?

SCHALKE UNSER:
Hast du hier in der Mannschaft schon Kontakt mit Mannschaftskollegen?

THORSTEN LEGAT:
Ich muss mir selbst den Kontakt machen, so dass die hinterher sagen: Nee, das ist ein Pfundskerl. Ich glaube, keiner aus der Mannschaft kann behaupten, dass Thorsten Legat ein negativ eingestellter Mensch ist. Ich muss ehrlich gestehen, im Vergleich zu Stuttgart ist diese Mannschaft die sympathischste in den ganzen dreizehn Profijahren. Hier, da gibt’s keine Neider. Die sprechen offen und ehrlich, lösen die Probleme intern, und das ist optimal.

SCHALKE UNSER:
Lass uns da anknüpfen, die internen Sachen bleiben intern … in den Zeitunsartikeln aus dem letzten Jahr fiel uns auf, es gab in Stuttgart vor der Geschichte mit Thiam schon ein komisches Problem: Ein Kader mit ganzen 34 Spielern – seltsam genug. Dann werden sechs Spieler abgesondert, aus der Mannschaftskabine verbannt und sollen allein trainieren. Das klingt schon wie: „Eigentlich wollen wir euch gar nicht mehr haben.“

THORSTEN LEGAT:
Erst als der neue Trainer Rangnick gekommen ist, hieß es: Oh, ein Überschuss an Spielern, da müssen wir sechs aussortieren!“ Dass ich dabei gewesen bin, das hat mich umgehauen, so als ob du mit Mike Tyson im Ring stehst und von dem eins auf die Nase bekommst. Ich war also auch dabei, habe das gefressen, gefressen alles, und gemerkt, dass ich nicht mehr berücksichtigt worden bin und dass der Kontakt immer mehr abgebrochen ist. Da habe ich die Welt nicht mehr verstanden. Im Nachhinein hat es auch nicht geschadet, die Leute haben das gelesen, die ganzen Fans haben zu mir gehalten, und jetzt bin ich froh, dass es so gelaufen ist, sonst wäre ich heute noch da. Das ist das Traurige an der ganzen Sache, du kommst wieder, bist verletzt, da wird dein Schild abgerissen und dein Spind leergeräumt und man sagt von heute auf morgen: „Tschüss“. Viele haben sich für mich eingesetzt, der Balakov, Soldo, Thomas Berthold… alle.

SCHALKE UNSER:
Die Pressemitteilungen zu der Thiam-Geschichte klangen dann auch so: „Ja, wir wollten ja eigentlich nicht, dass das rauskommt, aber jetzt machen wir dann auch gleich mal reinen Tisch.“

THORSTEN LEGAT:
Jaja, ich lach‘ darüber. Ich habe mit Pablo noch guten Kontakt, ich rufe ihn auch nachher wieder an. Pablo lacht sich auch kaputt. Wir haben das beide als einen Joke empfunden, aber Fakt war halt, ich wurde verbannt, stand aber noch auf der Gehaltsliste, und da haben sie natürlich einen Grund gesucht. Die anderen haben sich auch kaputtgelacht darüber, aber mir hat’s geschadet. Es ist so rübergekommen, als ob ich Rassist wäre und all so ein Quatsch, ist ja absolut Tinneff, weil ich auch mit ausländischen Kindern aufgewachsen bin und auch mit denen gespielt habe. Deswegen regt mich auch die ganze Sache auf. Die müssen sich erstmal vergewissern und nachdenken, was ein Rassist ist. Rassist ist für mich, wem wirklich auf der Stirn geschrieben steht und der sagt, „ich bin absolut gegen Ausländer und ich beschimpfe die und haue die“, das ist für mich ein Rassist. Aber nicht, was ich da gemacht habe.

SCHALKE UNSER:
Du meinst, es war eher, als ob du auf ein Bild von Rene Eijkelkamp zum Beispiel „Giraffe“ oder „Albatros“ geschrieben hättest?

THORSTEN LEGAT:
(nickt) Ich höre da einige Sachen, die intern gemacht werden, da denke ich einfach, das, was ich gemacht habe, wenn das rassistisch ist, dann möchte ich mal gerne wissen, wenn da einige Wörter in der Kabine fallen, was das dann ist. Da schüttele ich mich manchmal nur und denke „Huch! Schnell weg!“ Für mich ist das vergessen. Ich bringe meine Leistung hier, und alles andere ist undiskutabel. Das ist das beste, was man machen kann, eine Gegenleistung darzustellen und dann einfach Schalke – Thorsten Legat – gewinnen. Mehr nicht.

SCHALKE UNSER:
Du hast beim Bielefeld-Spiel unser „Schalker gegen Rassismus“-Shirt unter dem Trikot getragen. War das als Botschaft gedacht?

THORSTEN LEGAT:
Als Demonstration, und das werde ich auch solange noch anziehen, bis ich aufhöre mit dem Fußball.

SCHALKE UNSER:
Jedem fiel zu dem Namen sofort die Geschichte ein, das waren ja bundesweite Schlagzeilen. Wenn so eine Geschichte einmal rollt, hat man keine Möglichkeit, sich zu wehren.

THORSTEN LEGAT:
Du hast keine Chance – was einmal geschrieben ist, das ist geschrieben. Das ist das Problem, du kommst dagegen nicht an. Das ganze wäre heute noch nicht rausgekommen, wenn nicht einer aus der Mannschaft gequasselt hätte, und ich weiß auch wer. Andere haben es mir auch erzählt, aber ich schweige. Das ist meine Gutmütigkeit, aber der Mensch ist für mich gestorben.

SCHALKE UNSER:
Das ist wohl auch die richtige Art, damit umzugehen. Gleiches mit Gleichem zu vergelten, stellt dich auf dieselbe Stufe.

THORSTEN LEGAT:
Ich muss ehrlich gestehen, ich habe gelitten. Wochenlang, wochenlang. Nicht nur ich, meine Eltern, meine Geschwister, meine Frau und meine Kinder auch. Obwohl die klein sind. Die haben das gemerkt, wie meine Mutter, mein Vater, meine Frau und ich am Boden zerstört waren. Wenn du morgens die Zeitung aufschlägst und da steht: „Thorsten Legat ist ein Rassist.“ Da fällt dir doch nix mehr ein. Da ist dir schlecht, du isst nix mehr, bringst deine Leistung nicht, deine Seele geht im … im Arsch, auf Deutsch gesagt, und dein Herz geht kaputt. Und dann dich wieder hochrappeln, ja – ich habe gedacht, ich mache das nicht mehr mit. Ich wollte aufhören. Ich habe zu meiner Frau gesagt: „Das lasse ich mir nicht bieten. Das ist eine Frechheit, eine absolute Frechheit.“ Überall steht immer „Skandalnudel“, diese Leute, ich weiß nicht, die sind krank, das sind kranke Menschen. Ich will nur Spaß haben, mich der Menschheit zeigen, dass ich hier auf Schalke bin und arbeite und arbeite. Mehr will ich gar nicht. Und dass man mich akzeptiert. So wie ich bin. Wirklich. Ich kann keinen Menschen verurteilen, nur weil er das hat und das hat… im Prinzip sind wir alle Ausländer, verstehst du? Alle. Ich habe mich da wirklich sehr gut geeinigt mit den Leuten in Stuttgart. Gut, ich habe mir gesagt, ich bin an dem Tag arbeitslos geworden, da habe ich das Zepter selbst in die Hand genommen. Habe dann meinen Berater angerufen, alles Drum und Dran, habe meinen Bankier angerufen und einen guten Ex-Kollegen, Ex-Bundesligaspieler, der auch mein Freund ist. Habe selbständig jeden Tag trainiert, Laufen, morgens und abends. Ich habe keine Probleme gehabt… gut, die Spielpraxis fehlt.

SCHALKE UNSER:
Zusätzlich zum Training sollst du noch ein sportliches Hobby haben, Bodybuilding?

THORSTEN LEGAT:
Ich mache reines Fitness: Ausdauer, Körperfett verbrennen, mehr mache ich nicht. Das habe ich früher gemacht, in Bochum. Da hatte ich einen sehr großen, schlimmen Unfall: Da hat mir jemand in den Rücken reingetreten, da habe ich den vierten, fünften und sechsten Lendenwirbel gebrochen gehabt. Und deshalb habe ich angefangen mit dem Krafttraining. Ich gehe ein-, zweimal die Woche zum Fitnesstraining, zum Aerobic. Das macht mir mehr Spaß.

SCHALKE UNSER:
Was ist denn so dein größter Wunsch, auf Schalke bezogen?

THORSTEN LEGAT:
In erster Linie, dass ich mit Schalke den UEFA-Cup schaffe. Und dass die ganzen Sachen mal alle vergessen werden, durch gute Leistung. Dass im Nachhinein die Leute sagen, der Junge hat’s gebracht, durch Leistung. Mehr will ich gar nicht. Ich will gar nicht weg, wirklich. Weil’s mir so gefällt hier. Das sind die Dinge, die ich so im Kopf habe.

SCHALKE UNSER:
Wie jetzt Asamoah kann es aber auch dir passieren, dass du wegen Konkurrenz plötzlich längere Zeit nicht zum Zuge kommst, trotz guter Leistung. Schwer, damit umzugehen, oder?

THORSTEN LEGAT:
Ich denke mal, jeder, der hier einen Vertrag unterschrieben hat, der muss die Anweisungen des Trainers befolgen.

SCHALKE UNSER:
Eine Schlagzeile, die du über dich lesen möchtest? Sportlich oder nicht? „Legat schießt Schalke in den UEFA-Cup“?

THORSTEN LEGAT:
Das wäre ein Traum mal zu lesen, „Thorsten Legat rettet Schalke mit einem Punkt und einem Tor den UEFA-Cup“. Da würde ich ganz Schalke einladen! Da würde ich Freibier machen.

SCHALKE UNSER:
Sag‘ das nicht, wir schreiben das!

THORSTEN LEGAT:
Egal! Das ist so mein Traum, wirklich. Wenn das wirklich so mal so kommen sollte, dann würd‘ ich sagen: Komm, Fans, ich lad‘ euch alle ein, das wäre mir egal, wirklich. Ach, soviel Geld hab‘ ich gar nicht.

SCHALKE UNSER:
Na dann, vielen Dank, auch für das Gespräch. Glückauf.