Verena Küppersbusch

Lotsin aus der Scheinwelt

(cm) Verena Küpperbusch leitet die Landesfachstelle Glücksspielsucht NRW. Im Interview mit SCHALKE UNSER erzählt sie, wann sie sich zuletzt über eine Initiative engagierter Fußballfans gefreut hat und warum sie die Omnipräsenz der Sportwetten-Werbung problematisch findet.

SCHALKE UNSER:
Ab wann reden wir von problematischem Spiel, ab wann von Spielsucht; und ist es dabei entscheidend, ob sich jemand das verzockte Geld leisten kann?

VERENA KÜPPERBUSCH:
Das hat natürlich mehrere Facetten. Problematisch wird es da, wo ich mehr verspiele, als ich mir vornehme oder auch weitaus öfter spiele als ich möchte. Wo das Ganze eine Eigendynamik entwickelt. Von Sucht würde man dann sprechen, wenn jemand die Kontrolle darüber verliert. Dabei ist es auch gar nicht so relevant, ob man das finanziell noch stemmen kann. Viele Spieler bekommen das lange Zeit irgendwie geregelt. Es ist ja auch nicht so, dass jeder Glücksspielsüchtige irgendwann kriminell wird, weil er das nicht mehr finanzieren kann. Viele bekommen das hin, ihr Glücksspiel in einem gewissen Rahmen zu halten und leihen sich allenfalls mal hier und da Geld, bei anderen wird es hingegen sehr schnell sehr viel extremer. Der entscheidende Punkt, ab dem man von einer Sucht spricht, ist jedoch der Kontrollverlust.

Seit 20 Jahren sensibilisiert Verena Küpperbuschs Stelle für das verschwiegene und mit allerhand Vorurteilen behaftete Thema pathologische Glücksspielsucht. Seitdem Kooperationspartner RTL das Thema im Format „Gute Zeiten, schlechte Zeiten” für eine breitere Öffentlichkeit aufgegriffen hat, klingelt das Hilfetelefon noch etwas häufiger.

SCHALKE UNSER:
Und wenn jemand im Stadion emotional gar nicht mehr mitgewinnen kann, weil seine Wette geplatzt ist?

VERENA KÜPPERBUSCH:
Es ist schon schwierig, wenn es mehr um das Wetten geht, als um das eigentliche Sporterlebnis.

SCHALKE UNSER:
Wie viele Menschen mit problematischem Spielverhalten gibt es in Deutschland? Stimmen die häufig genannten 430.000 aus den Statistiken überhaupt noch?

VERENA KÜPPERBUSCH:
Das sind in der Tat etwas ältere Zahlen. Es gibt einen neuen Glücksspiel-Survey, der Anfang des Jahres rausgekommen ist. Hier ist die Erhebungsmethodik eine etwas andere – in meinen Augen durchaus zeitgemäßer – weshalb die Zahlen nicht direkt miteinander vergleichbar sind. Aber diesem Survey zufolge, muss man von 1,38 Millionen Menschen ausgehen, die das in Deutschland betrifft.

SCHALKE UNSER:
Sind die Onlineanbieter von Glücksspiel am Ende nicht doch ein übermächtiger „Gegner“? Man hat ja das Gefühl, Sportwetten-Werbung überflutet uns mittlerweile.

VERENA KÜPPERBUSCH:
Ich halte es definitiv für sehr problematisch, dass die Werbung mittlerweile omnipräsent ist: In den Stadien, in den Medien … Wir haben beim Alkohol und beim Tabak die Erfahrung gesammelt, wie sehr das zu Problemen führt und ich bin der Meinung, dass es nicht nötig ist, die gleichen Fehler beim Glücksspiel noch einmal zu machen. Und daher denke ich auch, dass es dringend Beschränkungen bräuchte, was die Glücksspielwerbung angeht.

SCHALKE UNSER:
Wieso gibt es kein Werbeverbot? Trügt das Gefühl, dass der Staat mit der Lizensierung der Anbieter mehr Wert darauf legt, sich ein Stück vom Kuchen der Milliardenumsätze in Form von Steuereinnahmen zu sichern, als regulierend einzugreifen?

VERENA KÜPPERBUSCH:
Nein, ich glaube, das ist schon ein Stück weit so. Wobei das aus meiner Sicht etwas zu kurz gegriffen ist. Einerseits erzielt der Staat Steuereinnahmen, andererseits kosten die Auswirkungen der Sucht eine ganze Menge. Wenn man die Kosten zusammenträgt und dagegen hält, sind sie deutlich höher als das Steueraufkommen für den Staat. Einziges Problem dabei ist, wie sehr die anfallenden Kosten auf unterschiedliche Kostenträger verteilt sind, beispielsweise auf die Rentenversicherungen, die die Kosten für Rehabilitation tragen. Der Staat gibt natürlich auch Gelder aus, für Beratungsangebote und dergleichen mehr; aber in der Kosten-Nutzen-Rechnung ist man da trotzdem nicht im Plus. Aber die Einnahmen spielen grundsätzlich sicherlich eine Rolle für den Staat.

SCHALKE UNSER:
Wäre es dann also ein legitimes Ansinnen des Staates, für die Finanzierung der Folgen wenigstens etwas Geld an die Hand zu bekommen?

VERENA KÜPPERBUSCH:
Leider sind das ja keine Gelder, die dann auch für die Suchthilfe verwendet werden. Steuern sind ja nicht zweckgebunden. Und so fließt leider deutlich weniger in die Suchthilfe als durch Steuern reinkommt.

SCHALKE UNSER:
Gibt es ein Vollzugsdefizit bei der Kontrolle der legalisierten Anbieter von Sportwetten im Internet? Stichwort: Einzahlungslimits.

Cover SCHALKE UNSER 107
SCHALKE UNSER 107

VERENA KÜPPERBUSCH:
Ja, das Problem ist, dass es dort noch nicht so richtig durchgesetzt wird. Dieses Einzahlungslimit von 1000 Euro im Monat ist ja gerade in der Schwebe. Die Sportwettenanbieter klagen alle dagegen, finden es zu niedrig – ich persönlich finde es unverantwortlich hoch. Ich glaube, kaum jemand mit einem durchschnittlichen Einkommen hat jeden Monat 1000 Euro für ein Hobby übrig. Von daher finde ich das schon sehr hoch. Nicht zuletzt wegen Corona sind aber etwa Ordnungsämter personell kaum in der Lage, lückenlose Kontrollen durchzuführen. Das betrifft ja nicht nur die Sportwetten, sondern genauso die Spielhallen. Gerade die Ordnungsämter haben ja ein ausgesprochen großes Aufgabenportfolio. Wir schulen auch Ordnungsämter über die Schwerpunktberatungsstelle in Unna und stellen dort fest, dass noch viele Wissenslücken existieren und wir die Rückmeldung erhalten: „Wir wissen noch gar nicht genug, um das auch im Bereich der Sportwettenanbieter sinnvoll umsetzen zu können.“ Von daher gibt es da schon noch einen großen Nachholbedarf.

SCHALKE UNSER:
Im Bereich des Sports scheinen Anbieter derzeit ganze Wettbewerbe zu vereinnahmen und mit dem eigentlichen Sportevent zu verschmelzen, versinnbildlicht durch die Wettquoten-Anzeige direkt neben der Spieltagsübersicht. Wird die Sucht damit nicht mit größerer Wahrscheinlichkeit zum Massenphänomen?

VERENA KÜPPERBUSCH:
Was ich als erhebliche Gefahr sehe, ist der Grad der Normalisierung in der Wahrnehmung. Gerade den besonders vulnerablen Jugendlichen wird suggeriert „Man wettet dazu, dann macht es noch mehr Spaß.“ Wir hören es durchaus recht häufig, dass sogar Minderjährige schon Wetten platzieren oder platzieren lassen.

SCHALKE UNSER:
Stichwort: Selbst- oder Fremdsperre über die zentrale Datei „OASIS“. Gut oder halbherzig? Ist es nicht merkwürdig, dass am Spielsüchtigen hängen bleibt, sich selbst vom Spiel auszuschließen? Wirkt das nicht, als würde man einen Trinker vor dem Tresen fragen, ob er lieber ein Lokalverbot hätte oder lieber erstmal ein Glas Whisky?

VERENA KÜPPERBUSCH:
Ja, ein bisschen ist es vielleicht so. Tatsächlich würde ich das aber trotzdem als positiv und wichtig bewerten. Im Grunde ist ja die Spielersperre das Herzstück des Spielerschutzes im Glücksspielstaatsvertrag. Ich erachte das als sinnvoll, weil es Spielern die Möglichkeit gibt, sich auszusperren und so eine gewisse Sicherheit zu schaffen. Gerade in der Anfangszeit, wenn die Spieler eine Reha anfangen oder wenn sie erstmals merken, „das läuft hier gerade in eine ganz schräge Richtung“. Dann kann das eine wertvolle Unterstützung sein, aber es ist keine Lösung für das Problem „Glücksspielsucht“.

Es ist ein Anfang, aber dann muss etwas kommen. Man hat damit ja nicht das Problem erledigt. Ich finde es auch ganz wichtig, das nicht zu vermischen, mit dem „ich kann ja nicht mehr spielen und damit hat sich das erledigt“. Eine flächendeckend funktionierende Sperre ist die Voraussetzung. Davon sind wir allerdings noch ein gutes Stück entfernt. Solange die Sperre noch ein – ich sag mal – „Schweizer Käse“ ist und noch nicht alle Betriebe angeschlossen sind, ist sie auch noch kein zuverlässiges Instrument für den Spielerschutz.

SCHALKE UNSER:
Gibt es etwas, was Sie sich wünschen würden, etwas wo Sie sagen, „damit wären wir einen großen Schritt weiter“?

VERENA KÜPPERBUSCH:
In Bezug auf Sportwetten finde ich wirklich, dass eine Einschränkung der Werbung ein ganz wichtiger Schritt wäre. Und ich persönlich denke auch an „Verantwortung“. Wenn es gelingen würde, dass alle, die mit dem Fußballspielen zu tun haben, ein besseres Gefühl dafür entwickeln würden, wie auch sie eine gewisse Verantwortung für Jugendliche und Vulnerable tragen, die damit in Berührung kommen.

SCHALKE UNSER:
Auch unser Verein hat einen solchen Sponsor und dürfte ganz gutes Geld damit verdienen. Ich habe nicht das Gefühl, dass auf dieses Geld verzichtet würde, bevor jemand kommt und sagt: „Lasst diese Art der Werbung sein, dann bekommt ihr das Geld von uns.“

VERENA KÜPPERBUSCH:
Ja, das ist ganz schwierig. Die Anbieter kaufen sich natürlich da ein, aber als Verein muss ich mir vielleicht auch die Frage stellen: „Wie käuflich bin ich eigentlich?“ Da würde ich mir sehr wünschen, dass die Vereine da kritischer hingucken. Ich habe so das Gefühl, hier und da setzt ein Umdenken ein, das vor allem aus den Fanszenen kommt und wo man sagt: „Ich will nicht die ganze Zeit nur diese Werbung sehen.“ Ich weiß nicht, ob Sie das Bündnis gegen Sportwetten-Werbung kennen. Das stammt aus der Fanbewegung und wurde relativ neu gegründet. „Unsere Kurve“ ist sicherlich ein Begriff. Ich finde das ist eine tolle Entwicklung und ich wünsche mir wirklich, dass solche Initiativen zum Umdenken anregen.

SCHALKE UNSER:
Wir haben bei uns auf Schalke einige Erfahrungen damit gemacht, wie weit der Weg sein kann, bevor eine Mehrheit sich von dem Satz „Geld stinkt nicht“ und der Verein sich von einem Sponsor trennt, der nicht ohne Verrenkungen mit dem Bild davon kompatibel ist, wer man doch eigentlich sein möchte.

VERENA KÜPPERBUSCH:
Das habe ich tatsächlich ein Stück weit mitbekommen, weil mein Mann ein großer Schalke-Fan ist. Aber es sind oft auch die Fans, die doch eine große Macht haben, wenn sie einig sagen: „Das wollen wir so nicht.“ Ich glaube, man darf nicht unterschätzen, was das dann auch ausmacht, wenn die Fanszene Haltung zeigt.

SCHALKE UNSER:
Teilweise liest man, die Suizidrate sei im Zusammenhang mit pathologischer Spielsucht besonders hoch. Können Sie das bestätigen?

VERENA KÜPPERBUSCH:
Das kann ich bestätigen. Glücksspielsüchtige haben ein erheblich höheres Risiko als Betroffene anderer Suchterkrankungen.

SCHALKE UNSER:
Wie seriös und realistisch sind die Angebote verschiedener Verbraucherplattformen, die versprechen, ihre Wetteinsätze für sie zurückzufordern, sofern der Wettanbieter ohne Lizenz in Deutschland agiert hat?

VERENA KÜPPERBUSCH:
Ich bin natürlich keine Rechtsanwältin, daher kann ich nur von den Fällen berichten, die ich mitbekommen habe. Und da gibt es durchaus eine ganze Reihe von Fällen, in denen Spieler ihre verlorenen Einsätze zurückbekommen haben. Aber es gilt, den individuellen Fall zu betrachten. Zum Teil sind das Fälle aus der Zeit vor Einführung des Glücksspielstaatsvertrages, aber auch einige danach, denn mit dem Glücksspielstaatsvertrag waren ja nicht plötzlich alle Anbieter legal. Es besteht seither lediglich die Möglichkeit, eine Erlaubnis in Deutschland zu erlangen. Wer diese Erlaubnis nicht erhält, ist natürlich weiterhin illegal. Es gibt eine Whitelist, die das Regierungspräsidium in Darmstadt verwaltet und auch veröffentlicht hat.

Dort kann man nachvollziehen, wer wann eine Erlaubnis erhalten hat. Gerade virtuelle Automatenspiele finden sich dort sehr wenig. Das Tausendfache findet man im Internet. Und vor allem hier gelingt es dann unter Umständen, sein Geld zurückzubekommen. In der Regel verfolgt man das mit einem Rechtsbeistand oder über Verbraucherschutzverbände, die das einklagen. Sofern diese Akteure das kostenlos anbieten, ist es häufig so, dass von dem zurückgeholten Geld ein bestimmter Prozentsatz als Provision einbehalten wird.

SCHALKE UNSER:
Was wäre der niederschwelligste Rat an die Leute, die sich in unserem Artikel erkennen und den man problematisch wettenden Fußballfans mitgeben könnte?

VERENA KÜPPERBUSCH:
Eine Möglichkeit für Menschen, die sich da wiedererkennen oder die für sich feststellen, „da könnte bei mir auch etwas im Argen liegen“, wäre ein Anruf bei unserem Hilfetelefon Glücksspielsucht. Das geht auch anonym und ist kostenfrei. Und die Kollegen und Kolleginnen dort am Telefon können auch eine erste Einschätzung geben. Nach dem Motto: „Wie schlimm ist es denn bei mir? Was könnte ich tun?“ Für viele ist das der erste Kontakt mit einem Hilfesystem und sie möchten erstmal ausprobieren: „Wie reagieren die da überhaupt auf mich.“ Denn für die meisten ist das Ganze ja auch sehr schambehaftet. Wir haben daneben auch eine Onlineberatung unter ausgezockt.de. Auch da kann man anonym schreiben und sich eine erste individuelle Einschätzung holen.

SCHALKE UNSER:
Das gilt aber auch für Angehörige und Freunde, oder?

VERENA KÜPPERBUSCH:
Bei uns melden sich sehr viele Angehörige. Entweder weil sie sagen, „ich weiß nicht, da könnte etwas sein“ oder auch die, die sogar sehr sicher sind, dass es längst nicht mehr in Ordnung ist, wie ihr Partner oder Angehöriger spielt, die sich aber fragen, wie sie das streitbehaftete Thema ansprechen können oder wissen möchten: „Was kann ich tun?“

Mehr zum Thema:
– „Alles auf Horst“
„Gegen die Sucht“

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