Der Lorbeer welkt

Juli 1945 – die Glückauf-Kampfbahn ist immer noch ein großes Trümmerfeld. Nach und nach kehren Spieler der großen Meistermannschaft aus dem Krieg zurück. Ala Urban, Natz Füller und Walter Berg haben den Krieg nicht überlebt. Hermann Eppenhoff, Schuh und Walter Zwickhofer befinden sich noch in Kriegsgefangenschaft. Ernst Kalwitzki ist zu Rhenania Köln gewechselt, Rudi Gellesch nach Lübbecke gezogen. Karl Barufka spielt in Stuttgart. Hermann Nattkämper, Ernst Poertgen, Ferdl Zajons und Tullux Valentin haben die Fußballschuhe endgültig ausgezogen. Vom alten Stamm sind noch Hans Klodt, Ernst Kuzorra, Fritz Szepan, Ötte Tibulsky und Otto Schweisfurth übrig geblieben. Kuzorra ist mittlerweile 40, Szepan 38 Jahre alt.

Die Schalker reisen über die Dörfer und absolvieren „Bratkartoffelspiele“. Die Antrittsprämie wird mit Lebensmitteln bezahlt, die Königsblauen bedanken sich mit einer Torflut. Bei allen Auftritten gehen die Schalker als Sieger vom Platz. Den Auftakt macht am 22. Juli das 7:1 gegen die Stadtauswahl von Wanne. Danach folgen u.a. ein 15:0 in Sonnborn, das 19:1 in Byfang oder ein 10:1 in Westerholt.

1946

Immer noch wird für Kartoffeln und andere Nahrungsmittel gekickt. Erwitte, Lemgo, Leer und Röhlinghausen stehen zum Beispiel auf dem Spielplan. Im Frühjahr wird der Westdeutsche Fußballverband in Essen wieder ins Leben gerufen. Ihr erstes Meisterschaftsspiel tragen die Schalker am 9. März gegen Alemannia Gelsenkirchen (4:1) aus. Am 7. Juli findet das erste Spiel in der wiederaufgebauten Glückauf-Kampfbahn statt. Westfalia Herne wird durch je zwei Tore von Hinz und Winkler sowie einem Treffer von Berni Klodt mit 5:0 geschlagen. Im September sind nacheinander der süddeutsche Meister VfB Stuttgart und der Nordmeister Hamburger SV in der Glückauf-Kampfbahn zu Gast. Die Schwaben werden mit 7:1 deklassiert, die Hamburger müssen mit der Erinnerung an einen 2:0-Sieg der Schalker durch Treffer von Winkler und Gawliczek zurück an die Alster fahren.

1947

Zu Jahresbeginn stellen die Knappen einen Rekord auf. In der Westfalenliga müssen sie am 23. Februar auswärts am Hertener Katzenbusch gegen die Spielvereinigung Herten antreten. Im Hertener Schnee veranstalten die Königsblauen ein Schützenfest und fahren mit einem 20:0 im Gepäck zurück nach Gelsenkirchen. Achtfacher Torschütze in diesem Spiel: Herbert Burdenski. Die Spiele der Westfalenliga werden in zwei Gruppen ausgetragen. Die Knappen werden mit 34:2 Punkten überlegen Gruppensieger. In der anderen Gruppe dominieren die Dortmunder Borussen. Der Westfalenmeister muss in einem Entscheidungsspiel ermittelt werden.

Am 18. Mai kommt es am Schloss Strünkede in Herne zum Aufeinandertreffen der beiden alten Rivalen. Hinz schießt die Knappen zwar kurz vor der Pause in Führung, doch in der 53. Minute gleicht der Dortmunder Michallek zum 1:1 aus. Nach dem 2:1 durch Ötte Tibulsky erlebt Hans Klodt einen der schwärzesten Tage seiner Torwartkarriere. Erst rutscht ihm ein Weitschuss des BVB-Verteidigers Ruhmhofer zum 2:2 durch die Hände. Und fünf Minuten vor Schluss stürzt er bei einer Abwehr im Strafraum und muss am Boden liegend mitansehen, wie Sandmann den 3:2-Endstand herausschießt. Dieser Sieg bedeutet eine Wende im Westen. Der ewige Zweite Borussia Dortmund zieht erstmals an den Schalkern vorbei. Liegen vielleicht hier die Wurzeln einer Rivalität, die noch Jahrzehnte später existieren sollte?

Im Herbst startet wieder der Oberligabetrieb. Vor 30.000 Zuschauern erkämpfen sich die Schalker im ersten Spiel ein 2:2 bei Hamborn 07. Am zweiten Spieltag kommt es beim ersten Heimspiel zum Duell gegen Borussia Dortmund. Die Halbzeitführung der Dortmunder gleicht Herbert Burdenski kurz nach dem Wiederanpfiff zum 1:1-Endstand aus.

Aber die Schalker Mannschaft ist nicht wiederzuerkennen. Heimniederlagen gegen die SpVgg Erkenschwick, Fortuna Düsseldorf und die STV Horst-Emscher sorgen für eine enttäuschende Hinrunde.

1948

Auch die Rückrunde der ersten Oberligasaison bringt keine Besserung. Am Saisonende stehen die Knappen mit 24:24 Punkten auf dem sechsten Tabellenplatz. Gawliczek und Winkler wechseln zu ihren Heimatvereinen Meiderich bzw. Essen zurück. Fritz Szepan hatte fast die ganze Saison wegen einer schweren Knieverletzung ausgesetzt. Der Schalker Lorbeer welkt.

1949

Es kommt noch dicker: Nach Abschluss der Oberligasaison 48/49 stehen die Knappen auf dem 12. (und damit vorletzten) Platz in der Tabelle. In der Relegationsrunde müssen sie gegen Bayer Leverkusen und VfL Benrath antreten. Nur der Gruppensieger bleibt in der Oberliga. Es sieht bedenklich nach Abstieg und Absturz aus. Die Mannschaft ist am absoluten Tiefpunkt angelangt. Nach Abschluss der Oberligarunde, aber noch rechtzeitig vor Beginn der Relegationsspiele kehren im Sommer Walter Zwickhofer und Hermann Eppenhoff aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Beide beherrschen immer noch das berühmte Schalker Kombinationsspiel, den Kreisel, und können der desolaten königsblauen Truppe den Rückhalt geben, der im Abstiegskampf nötig ist.

Im ersten Spiel wird Bayer Leverkusen mit 1:0 besiegt. Am 21. August treffen dann im Wuppertaler Zoo-Stadion Schalke und Benrath aufeinander. Vor 35.000 Zuschauern spielen die Schalker wie entfesselt auf. Matzek (3), Grzella (3), Zwickhofer (2) und Groß schießen einen 9:0-Sieg heraus. Schalke hat den Klassenerhalt noch einmal geschafft. Der sechsmalige Deutsche Meister jubelt über den Oberliga-Klassenerhalt. Die Zeiten haben sich geändert.

1950

Langsam geht es wieder aufwärts. Am Saisonende stehen die Schalker auf dem sechsten Tabellenplatz. Viel wichtiger aber ist für viele Schalker Fans der 12. März. 50.000 Zuschauer drängeln sich an diesem Tag in die Glückauf-Kampfbahn. Ränge, Aschenbahn und Bäume – alles ist total überfüllt. Es ist wieder Revierderby. Schalke gegen den BVB elektrisiert die Massen. Zwei Tore von Behring und Matzkowski sorgen für ein 2:1 – der erste Schalker Sieg in einem Revierderby der Nachkriegszeit. Die Sportpresse schreibt von einer Siegesfeier der Königsblauen, als hätten sie gerade ihre siebte Deutsche Meisterschaft errungen.

Der Neuaufbau, längst überfällig, beginnt. Albert Wildfang löst Josef Wietfeld als Vereinspräsident ab. Trainer der Knappen ist mittlerweile Fritz Szepan. Heia Dargaschewski, Paul Matzkowski, und Berni Klodt sind die Stützen der neuen Schalker Mannschaft. Von der alten Truppe sind noch Hermann Eppenhoff und Walter Zwickhofer dabei.

Am 12. November ist der brasilianische Meister Athletico Mineiros Belo Horizonte in Gelsenkirchen zu Gast. Es ist das Abschiedsspiel für den mittlerweile 45jährigen Ernst Kuzorra und seinen zwei Jahre jüngeren Schwager Fritz Szepan. Beide spielen noch einmal zwanzig Minuten und gehen dann Arm in Arm vom Platz. Schalke verliert dieses Spiel mit 1:3, das Ergebnis ist jedoch für alle Beteiligten vollkommen bedeutungslos.

1951

Ein altes Schalke-Gefühl kommt wieder auf. Hohe Siege, zum Beispiel 8:0 gegen Borussia Mönchengladbach und 8:1 gegen Preußen Dellbrück (sechs Tore durch Kleina), sorgen während der ganzen Saison für einen Spitzenplatz. Am vorletzten Spieltag ist wieder der BVB in der Glückauf-Kampfbahn zu Gast. Die Schalker liegen vor dem Spiel der Spiele punktgleich mit Preußen Münster an der Tabellenspitze, die Dortmunder mit gerade mal einem Pünktchen Rückstand auf dem dritten Platz. 40.000 Zuschauer gegen nach dem Spiel enttäuscht nach Hause. Ein absolut langweiliger Kick endet 0:0. Auf Schalker Seite fehlen mit Berni Klodt und Hermann Eppenhoff zwei wichtige Angriffsspieler. Trainer Fritz Szepan setzt deshalb auf die totale Defensive und tritt ohne Stürmer an. Der einzige Angreifer auf dem Papier ist Matzek – er spielt Innenverteidiger. Im Nachhinein erweist sich die für die Zuschauer langweilige Taktik jedoch als richtig. Mit einem 4:1 im letzten Spiel gegen Katernberg am 29. April sichern sich die Schalker die erste Meisterschaft in der Oberliga West. Zum ersten Mal spielen die Knappen nach dem Krieg in den Gruppenspielen um die Deutsche Meisterschaft mit.

Der Start verläuft katastrophal. Die Gegner heißen St. Pauli, SpVgg Fürth und 1.FC Kaiserslautern. Nach der Hinrunde stehen 1:5 Punkte auf dem Konto. Eine Heimniederlage (1:2) gegen Pauli, ein 0:0 in Fürth und ein 0:1 in Kaiserslautern sind zu wenig. Die Aufholjagd in der Rückrunde ist jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Drei Siege sorgen am Ende zwar für 7:5 Punkte und Platz zwei, aber laut Reglement zieht nur der Gruppensieger Kaiserslautern mit Kapitän Fritz Walter in die nächste Runde ein.

1952

Ein neuer Konkurrent im Westen. Rot-Weiß Essen sichert sich überlegen die Oberligameisterschaft. Mit fünf Punkten Rückstand werden die Schalker Zweiter und nehmen ebenfalls an den Gruppenspielen um die Deutsche Meisterschaft teil. Mit mäßigem Erfolg. Ein 3:0-Sieg gegen den Hamburger SV, ein 2:2 in Nürnberg und vier Niederlagen sorgen für den letzten Gruppenplatz. Die Schalker Mannschaft erweist sich als Torso: 22 Gegentore in sechs Gruppenspielen. Weder Heinz Kersting noch Hartenstein können als Keeper dieses Debakel verhindern. Dafür überstehen die Schalker erstmals die Regionalrunden im DFB-Pokal und erreichen die 1. Hauptrunde. Dort ist aber schon im ersten Spiel am 17. August Borussia Neunkirchen Endstation (1:2).

1953

In den Oberligaspielen ist wieder Durchschnitt angesagt. Ein sechster Tabellenplatz ist am Ende die Ausbeute. Der Rechtsanwalt Albert Möritz löst den bisherigen Präsidenten Josef Wietfeld ab. Am Schalker Markt wächst langsam eine völlig neue Mannschaft heran. Torwart Heini Kwiatkowski wechselt nach Dortmund. Dafür tauchen andere junge Spieler auf: Manni Orzessek hütet das Schalker Tor, Helmut ‚Catcher‘ Sadlowski und Günter Brocker verteidigen. Im Sturm geht ein 23-jähriger Hesse, der von Kassel 03 zu den Knappen gewechselt ist, auf Torejagd: Günter Siebert. Kein Superfußballer, meinen Beobachter, aber dafür ein durchschlagskräftiger Stürmer mit einem gewaltigen und sicheren Schuss.

1954

Schalke wird 50. Jubel, Trubel, Heiterkeit nicht nur am Schalker Markt. Am 1. August findet das Jubiläumsspiel gegen den Club aus Nürnberg statt, das die Knappen mit 3:1 für sich entscheiden. Bei der Fußball-WM in der Schweiz ist Berni Klodt dabei. In der Vorrunde gehört er in den beiden Spielen gegen die Türkei noch zur Mannschaft, im Finale gegen die Ungarn im Berner Wankdorf-Stadion ist er nicht mehr dabei, weil auf seiner Position Helmut Rahn den Vorzug bekommt.

Am Rande der Fußball-WM wird der Wiener Edi Frühwirth als neuer Trainer verpflichtet. Sein Vorgänger Fritz Szepan war zuvor auf eigenen Wunsch zu Rot-Weiß Essen gewechselt, mit denen er zwei Jahre später Deutscher Meister werden sollte.