Die Randgruppenecke
diesmal: die bajuwarischen Fußball-Vollpfosten (BLV)
Es war einmal vor langer, langer Zeit. Da saßen alte, weiße, männliche Fußballfunktionäre zusammen und haben sich was gedacht. Und weil sie in dieser Tätigkeit nicht besonders geübt sind, war das jetzt eher nicht so dolle.
Wir schreiben das Jahr 2020 irgendwann im Juni, es ist irgendwas mit Corona, der deutsche Profifußball ist ebenso orientierungslos wie die Schalker Mannschaft im gegnerischen Strafraum und irgendwie muss der Rubel, äh, der Ball ja weiter rollen. Und darum mussten die Regionalligaverbände irgendwie ihre Aufsteiger für die dritte Liga nominieren. Der BLV guckte in die Tabelle, sah, dass Türkgücü oben stand und dann waren die schwupps für Liga 3 gemeldet. Noch nicht ganz klar war allerdings, wer aus Nordösterreich im DFB-Pokal antreten sollte, das sollte nämlich der beste Amateur aus der Region sein.
Da hat sich Türkgücü gedacht: „Na super, wenn wir schon aufsteigen, sind wir ja wohl auch die besten Amateure hinter den sieben Bergen.“ Pustekuchen, da hatten sie die Rechnung ohne die Hofbräuhaus-Wirte des BLV gemacht. Denn während alle anderen Ligen den Spielbetrieb beendet hatten, musste es gefälligst im Freistaat weitergehen. Und damit erdachten sich die Herren die Regel: Türkgücü wird aus der Wertung genommen. Neuer Tabellenführer war damit der 1. FC Schweinfurt. „Die Statuten sind hier klar und alternativlos“, dachte und verkündete der BLV. Nur, so ganz klar war das dann doch nicht.
Türkgücü war damit zwar in Liga 3, aber nicht mehr im Pokal. Der BLV war nämlich der Meinung: „Ihr seid ja seit Eurem Aufstieg gar keine Amateure mehr.“ Darum benannten sie einfach den ihrer Meinung nach besten Noch-Amateur, das war dann eben Schweinfurt. Und die freuten sich jetzt auch wie Bolle auf den DFB-Pokal und die damit verbundenen Einnahmen.
Es ward Abend, es ward Morgen und der DFB besah sich, was der BLV geschaffen hatte, und fand, dass es gut war. Schnell war damit auch verkündet, dass Schalke und Schweinfurt aufeinandertreffen sollen. Fast genauso schnell, nur fünf Tage später, war damit schon wieder Pustekuchen. „So nicht“, dachte sich Türkgücü, „Fußball ist ja kein rechtsfreier Raum.“ Für alte, weiße, männliche Fußballfunktionäre war das aber eine Idee, die noch nie gedacht worden war. Der Neudrittligist erwirkte beim Münchner Landgericht I per einstweiliger Verfügung, dass sie im Pokal spielen und nicht Schweinfurt.
„So geht’s ja nicht“, erzürnte sich daraufhin der DFB. „Wo kommen wir denn dahin, wenn in einem Rechtsstaat hier einfach jeder Recht bekommt! Recht haben immer noch wir! Und wenn nicht der spielt, den wir wollen, dann spielt einfach keiner!“ Gesagt, getan, das Pokalspiel wurde abgesagt. Präsident des bayerischen Fußballverbands ist übrigens DFB-Vizepräsident Rainer Koch.
„Das Gericht hat sich nicht mit den notwendigen Anforderungen an die Durchführung eines Spielbetriebs auseinandergesetzt“, monierte der BLV dann. Dass das allerdings nicht die schlauste aller Begründungen war, wurde wenig später klar. Und auch Türkgücü stellte klar, worum es hier geht. Um den Sport. Oder, um es mit ihren Worten zu sagen: „Als Aufsteiger in die 3. Liga, die sowieso finanziell sehr schwer ist, ist es eine Summe, die wir auch in unserer Kalkulation von Anfang an mitaufgenommen haben. Sollten wir nicht am DFB-Pokal teilnehmen können, wäre der Verlust besonders im Marketingbereich extrem.“ Obwohl, ein paar Tage später ging es dann vor allem um das „Prinzip”.
Gut, jetzt hätte man ja einfach auf eine Idee kommen: „Leute, wir lösen das einfach sportlich. Ihr tretet gegeneinander an und der Gewinner darf in den Pokal. So unter Sportsleuten.“ Um Sportliches geht es aber selten, wenn man Recht haben will. Also kam entweder niemand auf diese Idee oder irgendeiner hatte etwas dagegen.
Klagen kann man ja auch zum Sport machen. Und genau damit hatte Schweinfurt angefangen: Die Regelung, dass der eine aufsteigt und der andere Pokal spielt, hatte man vorher unter Ehrenmännern ausgehandelt. Doch dann klagte Schweinfurt genau gegen diesen Kompromiss: Türkgücü dürfe gar keine Zulassung erhalten, denn sie hatten Würzburg und Burghausen als Spielstätten genannt, weil das eigene Stadion die Bedingungen der 3. Liga nicht erfülle. Türkgücü: „Für uns gab es fortan keine Veranlassung mehr, uns an überholte Absprachen zu halten.“
Also zurück auf die Gerichtsbank. Der BFV legte Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung ein. Verhandelt wurde am 28. September, aber entschieden nichts: Jetzt endlich erst versuchte der BFV, eine vernünftige Begründung vorzulegen, die bis dato keinen Einzug ins Verfahren gehalten hatte. Vorsitzende Richterin Gesa Lutz bemängelte, „dass in den vom BFV eingereichten Unterlagen etliche Erklärungen fehlten“.
Zwei Tage später dann das Urteil: „Wir haben die Nominierungs-Entscheidung an den BFV zurückgegeben. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Meldung von Schweinfurt 05 nicht auf die Spielordnung des BFV gestützt werden kann.“ Die Meldung der Unterfranken für den Pokal sei eine „Rechtsverletzung“ gewesen. Es liege „keine fehlerfreie Ermessensbegründung“ seitens des BFV vor, berichtete der Sport-Informationsdienst (sid). Koch kam nicht zu dem Termin, hatte aber vorher schon die schweren Geschütze aufgefahren: „Das wäre das Ende der gemeinnützigen Verbände im Sport!“
Tja, hat nichts geholfen, das Gericht sah es anders. Da haben die die alten, weißen, männlichen Fußballfunktionäre wieder angefangen nachzudenken – oder das, was sie dafür halten. „Wie wäre es denn, wenn wir einfach ein Schiedsgericht anrufen?“ Super Idee, sofort gemacht. Nur ganz so super war die Idee dann doch nicht, denn das brachte Türkgücü auch auf eine Idee: Klagen! Nicht ganz neu die Idee, aber bewährt, denn Türkgücü guckte in die Unterlagen und stellte fest: Es gebe „zwischen dem BFV und Türkgücü München keine wirksame Schiedsvereinbarung, erst recht nicht für einen Streit über die Meldung zum DFB-Pokal“. In die Berufung ist der BFV sicherheitshalber zusätzlich auch gegangen.
Das wird dann wohl noch ein paar Tage dauern. Was Rainer Koch aber nicht will, hat er schon gesagt: dass „Schalke 04 kampflos in die zweite Runde einzieht”. Schade eigentlich. Dann hätten sich BLV, Türkgücü und Schweinfurt noch ein paar Jahre munter weiter gegenseitig verklagen können – und rein sportlich wäre das für Schalke dann wenigstens eine sichere Bank gewesen. Stattdessen wird lieber vor Gericht gezogen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann klagen sie noch heute.
Update 27. Oktober 2020: Am Vormittag hat das Bayerische Oberlandesgericht entschieden, dass das Schiedsgericht zuständig ist, weil es „von unabhängigen Richtern besetzt“ ist. Am Abend entschied dann dieses Schiedsgericht, dass Schalkes Gegner Schweinfurt heißt. Damit ist auch das andere Verfahren rechtskräftig erledigt, weil die „einstweilige Verfügung“ nicht mehr erforderlich ist.