Lieber Andy Möller,

Cover SCHALKE UNSER 27
SCHALKE UNSER 27

es kursieren immer wieder Diskussionen, wer oder was ein Schalker sei, wer ein richtiger Fan ist und welche Ansichten man vertreten muss, um kein Erfolgsfan zu sein. Meine Antwort: Ich weiß es auch nicht. Ich weiß nur eines – was der große und ruhmreiche FC Schalke 04 für mich und mein Leben bedeutet: Schalke ist für mich ein ganz großes Stück Lebensqualität. Nicht nur, wenn die unsrigen mal einen Lauf haben, wenn wir tolle Spiele und überraschende Siege feiern können, wenn wir den Pott ins Revier holen oder die Erzrivalen schlagen. Natürlich gehe ich dann ganz auf in meiner Passion, nerve meine komplette Umgebung mit meinem ständigen „Schalke-Gelaber“ und bin supernervös schon zwei Tage vor dem nächsten Spiel.

Nein – auch wenn (wie es in meiner aktiven Zeit als Fan meistens) „Schalker sein“ bedeutet „Leiden ertragen“. Jetzt ist es mal wieder so weit: Seit zwei Jahren ein ständiges Wechselbad zwischen euphorischem Hoffen und ständigen Tiefschlägen, gepaart mit meist unterschwelligem Pessimismus. Vermutlich Angst. Und dann wieder hoffen, hoffen, hoffen… Häufig fragt man sich, wieso man sich in diesen Zeiten diesen Verein eigentlich noch antut. Andere fragen einen das auch, und ich habe auch hier keine Antwort. Aber vermutlich – ich bin kein Psychoanalytiker – ist es die fast schon melancholische Sehnsucht nach einer Identifikation mit etwas, das man für sich selbst als „gut“ und „liebenswert“ bewertet hat. Eine Identifikation, die einem die Gefühle in alle Richtungen so richtig aufwühlt. Die einem das Leben schlicht interessanter macht. Ein Stück Lebensqualität eben.

Und zu dieser positiven Verbundenheit gehört halt auch immer die negative Antipode. Nur „Gut“ und „Schlecht“ machen einen Film spannend. Und dieser Gegenpol ist eben für viele der BVB. Und hat ein Gesicht: Für viele bist Du das, Andy Möller. Für andere ist es eher Bayern, Leverkusen, die Nationalmannschaft oder Uli Hoeneß. Ich gehöre auch eher zu jenen, denen Du, Andy Möller, als Feindbild Nummer 1 dientest. Und Dich setzt man uns nun zum Bejubeln vor. Als ich das las, war es, nachdem sich die Ungläubigkeit legte, wie ein tiefer Stich in meine Schalke-Seele. Es tat fast physisch weh. Scheiße! Diese Reaktion ist, ich weiß es wohl, rational nicht zu begründen. Sachlich kann die Kritik an Möller heißen: Der ist zu alt, der verdient zu viel, der zerstört das Mannschaftsgefüge. Okay. Dann kommen andere Meinungen, ebenso sachlich: Ein mutiger Schritt, der kann uns spielerisch weiterbringen, der will es noch mal wissen. Wieder okay. Nur muss auch Rudi Assauer verstehen: Rational ist dem Phänomen „Schalke“ nicht beizukommen. Wären wir rational denkende Menschen, trügen wir nicht jedes Jahr Unsummen an die Kassenhäuschen und in die Fan-Shops.

Mag sein, dass ich mich an den Schalker Spieler Möller gewöhnen werde. Mag sein, dass ich mich über Deine Tore freuen werde – mag alles sein. Tatsache bleibt, dass mich Deine Verpflichtung tierisch aufgewühlt hat. Aber ich denke inzwischen, dass sich auch diese Episode unauslöschlich in meine Erinnerung einbrennen wird, wie der erste Abstieg, der Weggang von Klaus Fischer, die Wiederaufstiege, die drohenden Lizenzentzüge, Bent Christensen, Dieter Schatzschneider und natürlich die tollen Tage des UEFA-Cups 96-98. All das gehört zu „meinem persönlich erlebten Schalke“. Und all das ist integraler Bestandteil meiner komplexen Beziehung zu diesem Verein. Und ganz ehrlich: Eigentlich möchte ich nichts davon missen. Bin wohl, wie die meisten von Euch, leicht masochistisch veranlagt. Erst das dauernde Leiden macht die Höhepunkte so schön.

Und mir treten immer noch die Tränen in die Augen, wenn ich von San Siro erzähle. Lennart Johannson übergibt den Cup an unseren Kapitän, an Olaf Thon. Und diese Erinnerung, dieses Glück, das kein Bayern-Fan je geschmeckt hat, das ist für mich echte Lebensqualität, etwas, um dessen Fehlen willen ich jeden Nicht-Fussballfan nur bedauern kann!

Das ist meine Antwort darauf, was es heißt, ein Schalker zu sein. Ich werde weiterhin alles aufsaugen, was mit Schalke zu tun hat, werde auch in dreißig Jahren noch jedes Wochenende den Ergebnissen im Stadion, in der Zeitung, im ran-ticker oder Fernsehen entgegen fiebern, völlig egal, wer da spielt und in welcher Liga.

Ich werde mich auch weiterhin über konstruktive wie emotionale Kritik freuen, werde weiter schimpfen und nörgeln, jubeln und übertreiben, kurz: Ich werde immer ein Schalker bleiben – verbunden mit Euch anderen Schalkern, egal ob Ihr intellektuelle Analytiker oder einfache Gefühlsfans seid, egal ob Ihr seit zwanzig Jahren eine Dauerkarte habt oder nicht, egal, ob Ihr auch schon mal während des Spiels pfeift oder in kritikloser Euphorie jeden unterstützt, trägt er nur das königsblaue Hemd. Die Schicksalsgemeinschaft, die uns alle verbindet; das Ausgeliefertsein den Entscheidungen des Vorstands und der Lust und dem Können der gerade verpflichteten Kicker – dieser Wahnsinn macht uns alle zu „echten Schalkern“. Verdammte Scheisse – ich liebe halt einfach diesen Verein!

Königsblaue Grüße