(rk) In der Öffentlichkeit hat er das Image des „netten Herrn Slomka“. Am Spielfeldrand wirkt er abgeklärt und besonnen, die Ruhe selbst. Doch er kann auch anders. SCHALKE UNSER sprach mit Mirko Slomka vor dem Endspurt um die Deutsche Meisterschaft über Presseboykotts, sibirische Straflager und Kerzen für die Meisterschaft.
SCHALKE UNSER:
Mirko, du hast Sport und Mathematik auf Lehramt studiert, bevor du als Fußballlehrer angefangen hast. Hilft dir die Mathematik heute auch bei der Spielanalyse?
MIRKO SLOMKA:
Ja, insbesondere die Statistik hilft hier und da schon, aber insgesamt ist der Fußball zu wenig berechenbar. Wahrscheinlichkeitsrechnung hilft einem da wenig weiter. Es gibt einfach zu viele Parameter, die unberechenbar sind: Bespielbarkeit des Platzes, äußere Umstände, Wetter, die Persönlichkeit der Spieler, die Emotionen.
SCHALKE UNSER:
Aber es gibt doch die bekannte „ran“-Datenbank: Kommen die Flanken des Gegners mehr über links, über welche Spieler laufen die Angriffe, in welche Ecke springt der Torhüter beim Elfmeter? Nutzt du so etwas in der Art?
MIRKO SLOMKA:
Ja, klar. Vor dem Bayern-Spiel etwa war statistisch klar zu belegen, dass Bayern München Schwächen beim Abwehren von Flanken hat, insbesondere bei Flanken über deren rechte Abwehrseite auf den zweiten Pfosten. Die Bayern haben in der Innenverteidigung Abstimmungsprobleme und außen einen Philipp Lahm, der aufgrund seiner Größe nicht gerade kopfballstark ist. Nur muss man die Flanken erst einmal schlagen – das ist uns in München so gut wie gar nicht gelungen. Als Hinweis an die Spieler sind solche Statistiken aber natürlich sehr nützlich, doch die Tagesform bleibt eben unberechenbar.
SCHALKE UNSER:
Nach dem Studium hat es dich zum Fußball verschlagen, zunächst als Jugend-Trainer bei Hannover 96.
MIRKO SLOMKA:
Ich habe wirklich ziemliches Glück gehabt, bei Hannover reinzurutschen und dort meine sportlich-pädagogischen Fähigkeiten unter Beweis stellen zu können. Ich habe auch einen tollen Jahrgang vorgefunden: Christoph Babatz, Niclas und Dennis Weiland, später dann Gerald Asamoah, Fabian Ernst, Raphael Schäfer, Sebastian Kehl und Per Mertesacker. Es waren schon einige Hochkaräter dabei, es hätten aber vielleicht auch noch mehr Profi-Fußballer werden können.
SCHALKE UNSER:
Bei Tennis Borussia Berlin hast du danach auch zunächst im Jugend-Bereich gearbeitet.
MIRKO SLOMKA:
Ja, das war auch eine sehr erfolgreiche Zeit. Ich war dort für das Training der gesamten TeBe-Jugend verantwortlich. Wir sind mit der A-Jugend bis ins Halbfinale der Deutschen Meisterschaft gekommen, dort erst an Leverkusen gescheitert. Von den damaligen Spielern hat Christian Tiffert den Sprung in den Profi-Fußball geschafft.
Dann gab es den Lizenzentzug der Zweitliga-Mannschaft von TeBe und für mich die Chance, als Cheftrainer zu arbeiten. Eine interessante Aufgabe, da es nun darum ging, den Jugend- und Amateurbereich zusammen zu bringen. Es war aber auch eine schwere Aufgabe, denn es sind Dinge vorgefallen, die ich nicht erwartet hatte. Das waren schwere Wochen, in denen ich am Ende auch während der Vertragslaufzeit beurlaubt worden bin. Anschließend habe ich direkt die A-Lizenz in Köln absolviert.
SCHALKE UNSER:
In der Presse hieß es damals, dass der bisherige Amateur-Coach Roland Jaspert von TeBe „menschlich enttäuscht“ gewesen sei, dass nicht er, sondern du den Cheftrainer-Posten erhalten hattest. Ähnlich enttäuscht äußerte sich Ralf Rangnick nach seinem Rauswurf bei Schalke.
MIRKO SLOMKA:
Wenn ein Jugend-Trainer mit seiner Mannschaft bis ins Halbfinale der Deutschen Meisterschaft vorstößt, sorgt das natürlich für Aufregung. Das war schon außergewöhnlich für diesen Verein. TeBe hatte keine großen Mittel und daher war klar, dass ein Großteil der A-Jugend-Mannschaft die Regionalliga bestreiten wird. Und am Ende hat dann sicherlich mein Konzept die Vereinsspitze überzeugt. Dass der damalige Amateurtrainer Roland Jaspert enttäuscht war, ist doch klar, aber sicher nicht von mir, sondern vielleicht eher von der Vereinsführung. Ich wundere mich immer wieder, dass diese Geschichte noch ausgegraben wird, denn da ist überhaupt nichts dran.
SCHALKE UNSER:
Was uns immer wieder auffällt: Schalke ist ein sehr emotionaler Verein.
MIRKO SLOMKA:
… und der Trainer nicht (lacht). Das stimmt aber nicht ganz. Ich kann auch ganz emotional geladen sein. Aber ich vertrete die Meinung, dass ein Trainer seiner Mannschaft auch Ruhe und Gelassenheit vermitteln muss. Wobei ich in den letzten Spielen auch mehrfach emotional reagiert habe. Vielleicht nicht auf die Spieler, sondern mehr auf die Schiedsrichter. In München gab es extrem viele Fouls von einzelnen Bayern-Spielern, die nicht geahndet wurden, und auf unserer Seite erhält Fabian Ernst für sein erstes Foul die gelbe Karte. Da stimmte aus meiner Sicht die Ausgewogenheit nicht, dann kann ich auch mal impulsiv werden. Aber als Trainer möchte ich die Contenance bewahren und den Leuten zeigen, dass ich weiß, was ich tue, und wir alle gemeinsam wissen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Zudem gibt es in unserer Arena schon so viele Emotionen und Hektik, da muss ich die nicht noch weiter schüren.
SCHALKE UNSER:
Apropos Arena: Die Münchener Allianz-Arena hat uns beim Auswärtsspiel ziemlich enttäuscht. Ein einziges Beton-Bauwerk ohne Leben und Seele.
MIRKO SLOMKA:
Ich war bei der WM dort und bin auch mit dem Zug und der U-Bahn angereist. Das ist für mich – wie ihr euch denken könnt – nicht ganz spaßig, aber bei der WM wollte ich das mal selbst miterleben. Die Allianz-Arena sieht zwar von außen spannend aus, aber ich gebe euch recht: Das Drumherum ist ziemlich trostlos, keine Brezelbude oder ähnliches. An unserer Arena wird da schon ein netteres Rahmenprogramm geboten und man kann bei schönem Wetter draußen seine Bratwurst essen oder sein Pils trinken.
SCHALKE UNSER:
Denken wir an das letzte Jahr im Oktober, November zurück: Die Presse hat damals ein ziemlich düsteres Bild von Schalke gezeichnet. Aus im DFB- und UEFA-Pokal, zerstrittenes Team, Maulwurf-Affäre. Davon ist momentan nicht mehr die Rede.
MIRKO SLOMKA:
Die Mannschaft ist in dieser Zeit extrem gereift. Auch das Schweigen der Spieler nach dem Heimspiel gegen Bayern bis zum Jahresende hat uns sehr zusammengeschweißt. Alle Spieler waren da der gleichen Meinung und haben an einem Strang gezogen. Es gab keine Informationen mehr aus der Mannschaft heraus. Und ich fand diese Aktion auch konsequent und richtig, da nicht mehr wahrheitsgetreu über uns berichtet wurde. Da standen erfundene Lügengeschichten in der Presse, wo jeder von uns wusste, das ist an den Haaren herbeigezogen.
Aber natürlich ist es auch so, dass der Erfolg das Zusammengehörigkeitsgefühl verbessert. Viele Dinge gehen dann leichter von der Hand. Im Sportstudio hatte ich es auch schon gesagt: Die einzige Sache, die ich im Nachhinein anders regeln würde, war die Angelegenheit zwischen mir und Gerald Asamoah. Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass anschließend eine solche Welle über uns wegrollt. So etwas würde ich zukünftig souverän unter vier Augen klären. Wie unter Männern.
SCHALKE UNSER:
Spielt es vielleicht auch eine Rolle, dass der „Mental-Trainer“ Peter Boltersdorf nicht mehr für Schalke aktiv ist?
MIRKO SLOMKA:
Überhaupt nicht, denn der Peter war ja eigentlich nur im Trainingslager bei der Mannschaft. Der Trainerstab und der Vorstand haben sich mit ihm beraten, aber er war nie in der Kabine oder bei der täglichen Arbeit auf dem Trainingsplatz dabei. Und auch wenn es viele Diskussionen um seine Methoden gab: Mit der Aussage wollten wir nicht arrogant wirken, sondern der Mannschaft in sportlicher Hinsicht auf den Weg geben: Ihr seid gut. Ihr seid ein richtig tolles Team und ihr könnt viel erreichen und die Spiele dominieren. Das ist nach außen leider vollkommen anders angekommen.
SCHALKE UNSER:
Peter Boltersdorf soll im Trainingslager auch Fragebögen an die Spieler ausgeteilt haben, in denen danach gefragt wurde, ob sie bereit wären, ihr Leben für die Ehre zu opfern. Zudem wurden sie gefragt, ob sie „sexuell zügellos“ wären.
MIRKO SLOMKA:
Das ist der so genannte Reiss-Test, ein anerkannter psychologischer Test, dem sich jedermann auch im Internet ebenfalls unterziehen kann. Ich habe den auch mal mitgemacht und dabei wichtige Hinweise über mich und meine Beziehung zu anderen Personen gewonnen. Sicher kann man über die ein oder andere Frage in diesem Test diskutieren, aber ich finde solche Tests hochinteressant. Man sollte sich aber auch auf einen derartigen Test unvoreingenommen einlassen und keine Angst vor Konsequenzen haben.
SCHALKE UNSER:
Vor einigen Wochen hospitierte Mario Basler auf Schalke.
MIRKO SLOMKA:
Ja, das ist ein Teil seiner Trainerausbildung. Wir lassen es gerne zu, dass angehende Trainer Einblicke in die Praxis gewinnen. Wir haben da auch nichts zu verbergen und helfen gern bei der Ausbildung. Wenn es interne Gespräche mit der Mannschaft gibt, werden die Hospitanten vor die Kabine geschickt, aber das ist ja kein Problem.
SCHALKE UNSER:
In der vorletzten Ausgabe hatten wir einen Artikel über Baslers Schwager Roger Wittman, den Spielervermittler, der inzwischen etliche Spieler bei Schalke unter Vertrag hat. Momentan liebäugelt Schalke mit Jermaine Jones, einem weiteren Klienten von Wittmann.
MIRKO SLOMKA:
Der Andy Müller hatte es ja bereits gesagt: In erster Linie interessiert uns der Spieler und ob er in unser Profil passt. Erst als zweites schauen wir auf seinen Berater. Aber eines ist klar: Roger Wittmann hat eben sehr interessante Spieler unter Vertrag. Da gibt es kaum einen Spieler, der Probleme macht, und das hängt auch mit Roger Wittmann und seiner Firma zusammen.
Jermaine Jones ist da sicher ein Spielertyp, den wir suchen, denn wir brauchen einen zweikampfstarken Spieler auf der rechten Seite als Ersatz für Hamit Altintop. Aber auf der einen Seite müssen wir gucken, wie sein Verletzungsrisiko auszuschließen ist, denn er hat gerade mal 30 von 100 möglichen Ligaspielen in den letzten Jahren absolvieren können. Da müssen wir bei dem medizinischen Check ganz genau hinschauen. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch die finanziellen Vertragsangelegenheiten mit dem Spieler klären. Und beides ist noch nicht soweit, dass wir Vollzug melden könnten.
SCHALKE UNSER:
Vor kurzem wart ihr auf großer Sponsorenreise nach Sibirien.
MIRKO SLOMKA:
Ja, erst in Moskau, dann in Sibirien, dann wieder Moskau und zum Schluss St. Petersburg.
SCHALKE UNSER:
Hat Lincoln denn die Reise als „sibirisches Straflager“ für seine dumme rote Karte empfunden?
MIRKO SLOMKA:
Es gab die Anfrage von Gazprom, dass wir einen Spieler mitbringen. Für mich kam das in dieser Phase eigentlich überhaupt nicht in Frage, aber da Lincoln nun mal gesperrt war, war er der einzige Spieler, der problemlos zur Verfügung stand. Am Anfang hatte er sicherlich das Gefühl „Mensch, jetzt muss ich da mit“, aber da habe ich ihm ein bisschen erzählt, was uns erwarten wird. Ich hab ihm gesagt, dass ich das als äußerst spannend empfinde und er da in seinem Leben wohl nie wieder hinkommen wird. Und dann hat Lincoln auch Spaß an der Reise entwickelt. Auch wenn die Reise recht strapaziös war, hat er sie am Ende doch sehr genossen.
SCHALKE UNSER:
Viele Fans sehen das Sponsoring durch Gazprom kritisch, extreme Stimmen sprechen gar vom „Pakt mit dem Belzebub“.
MIRKO SLOMKA:
Vielleicht spricht da aber auch ein bisschen der Neid, wenn Fans anderer Vereine Schalke so etwas vorwerfen. Ich kann mich nicht in die Konzernpolitik von Gazprom einmischen, genauso wenig wie sich Gazprom in unsere Vereinspolitik einmischen wird. Aber ich hatte das Gefühl, dass sich auf unserer Reise dieser Konzern für uns total geöffnet hat. Wir waren in allen brisanten Konzern-Bereichen, durften jede Frage stellen und wurden mit offenen Armen empfangen. Auch die Kooperation mit Zenit St. Petersburg ist eine tolle Sache. Wir werden unsere Erfahrungen in der Jugendarbeit austauschen, zudem möchte der Verein ein neues Stadion bauen, da kann Schalke dann sicher wichtige Hinweise bei der Umsetzung geben. Ich kann jedenfalls keine versteckten Fouls entdecken und bewerte die Gazprom-Kooperation für den Verein FC Schalke 04 nur positiv.
SCHALKE UNSER:
Ihr habt in der am nördlichsten gelegenen russischen Kirche noch Kerzen angezündet.
MIRKO SLOMKA:
Ja, Andy Müller, Lincoln und ich haben Kerzen angezündet. Die sollten reichen für die Meisterschaft.
SCHALKE UNSER:
Das hoffen wir auch. Vielen Dank für das Gespräch. Glückauf!