Auszug aus § 8.5 der Satzung des FC Schalke 04: ,,Der Vorstand entscheidet eigenverantwortlich über die ideellen, sportlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Belange des Vereins, soweit diese Befugnisse nicht satzungsgemäß anderen Vereinsorganen vorbehalten sind.”
Diesmal stand alles im Zeichen von viaNOgo. Die Kooperation mit dem Internet-Tickethändler viagogo hatte die Schalker Fan-Seele wie selten zuvor in Aufruhr gebracht. Die Gegeninitiative viaNOgo hatte im Vorfeld alles versucht, um die Kooperation noch zu stoppen. Jedoch wurden alle eingebrachten Anträge vom Aufsichtsrat – zunächst sogar ohne Begründung – abgelehnt. Die Ablehnungsschreiben wurden dabei anscheinend erst so kurzfristig erstellt, dass ein Kurierdienst damit beauftragt werden musste, die Schreiben auf den letzten Drücker zuzustellen. Erst die persönliche Aussprache mit den Aufsichtsräten Dr. Buchta und Dr. Langhorst brachte dann den Ablehnungsgrund hervor: Anträge greifen in das operative Geschäft des Vorstands ein, das ihm Kraft Satzung mit dem § 8.5 übertragen worden ist.
Nun kann man trefflich darüber streiten, ob ein Antrag gegen die Kooperation mit viagogo tatsächlich gegen den § 8.5 verstößt oder ob der § 8.5 nicht gar als Freibrief für alle Entscheidungen des Vorstands zu werten ist und damit nicht als Rechtfertigung der Ablehnung angeführt werden kann. Ohne eine richterliche Instanz wird diese Frage wohl nicht geklärt werden können. Der Aufsichtsrat hatte sich jedenfalls eindeutig positioniert, der Ehrenrat ist ihm zur Seite gesprungen. Die Reihen fest geschlossen.
Zudem wurde im Vorfeld offensichtlich alles dafür getan, möglichst viele Mitglieder in die Arena zu locken, um damit eine Mehrheitsbildung für die viaNOgo-Initiative zu vereiteln. So wurde ein Ausschnitt des Queen-Musicals aufgeführt, die Schalker Mannschaft legte eine Autogrammstunde ein und es sollten Rubbellose ausgegeben werden, die zum Vorverkauf von Heimspieltickets berechtigten. Event-Marketing statt Mitgliederversammlung.
Und diese Maßnahmen schienen zunächst auch zu greifen, denn mit etwa 9000 Mitgliedern war dies der absolute Rekord auf einer Schalker Mitgliederversammlung. Aber die Organisation hatte darunter zu leiden: Spät eingetroffene Mitglieder wurden nicht mehr in den Innenbereich gelassen, sondern mussten auf die Tribüne und konnten nicht an der Aussprache teilnehmen.
Es wurde zudem beobachtet, dass – bewusst oder unbewusst – auch an Minderjährige Stimmunterlagen ausgeteilt worden sind, genauso an Begleitpersonen von Behinderten, die gar nicht Mitglied waren. Teilweise wurden die Mitgliedsausweise gar nicht oder nur sehr lax kontrolliert. Es wäre wahrscheinlich ein Leichtes gewesen, die Versammlung schon allein deshalb annullieren zu lassen.
Bei der Eröffnung der Versammlung sahen die Mitglieder einen extrem angespannt und dünnhäutig wirkenden Clemens Tönnies, der sich häufig persönlich angegriffen fühlte und sogar mit seinem Rücktritt drohte. Insbesondere wenn es um das Thema viagogo ging, gab es durchaus lautere Unmutsäußerungen in der Halle, aber das war ja auch zu erwarten gewesen. Zu Beginn wurde ein Antrag verlesen, der die Vergabe der Rubbellose vorziehen sollte. Clemens Tönnies wies diesen Antrag mit faden- scheiniger Begründung (,,Störung des technischen Ablaufs”) ab.
Es folgten die Reden von Finanzvorstand Peter Peters (unglaublich spröde und ohne Esprit) sowie Marketingvorstand Alexander Jobst, der seine Schwierigkeiten hatte, den viagogo-Vertrag schön zu reden. Nach massiven – auch lautstarken – Protesten gab er dann mehrfach zu: ,,Wir haben verstanden.” Was der Vorstand genau verstanden haben will, blieb aber unklar, denn weitere Konsequenzen außer dem ,,genauen Beobachten” wurden nicht genannt. Konnten und durften vielleicht zu diesem Zeitpunkt noch nicht genannt werden.
Einziges positives Highlight aus dem Vorstandstriumvirat blieb der sportlich Verantwortliche Horst Heldt (,,Hat noch einer Bock über Fußball zu reden?”). Als einziger zeigte er, dass er auch vor einer solchen Kulisse gelassen bleiben kann.
Es folgte die Aussprache über die Berichte des Vorstands. Im Wesentlichen ging es dabei nur um ein Thema: viaNOgo! Und was jetzt kam, war ein Stakkato, eine Lehrstunde in Sachen ,,Leitbild”, vorgetragen von Stefan Barta, Michael Eckl, Frank Zellin (,,Sagt uns, was kostet der Scheiß!”) & Co.
Den Pennälern auf der langen Bank wurde bei der Zeugnisübergabe gesagt, dass sie mal wieder ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und dass sie das frisch beschlossene Leitbild missachten. Setzen, sechs!
Bei manch anderen Rednern ist man sich bis heute noch nicht so ganz sicher, was sie eigentlich am Rednerpult sagen wollten. Schon etwas sehr merkwürdig klang so manche Lobhudelei in Richtung des Vorstands.
Clemens Tönnies wurde später mit den Worten zitiert: ,,Heute haben wir Prügel bekommen, wie ich sie in 19 Jahren nicht erlebt habe.” Man muss es Clemens Tönnies aber hoch anrechnen, dass er alle Redner zum Ende kommen ließ, auch wenn die drei Minuten Redezeit vielleicht schon vorüber waren. So blieb nichts unausgesprochen.
Und auch wenn die Stimmung aufgeheizt war, die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat war keine Zitterpartie, obwohl den handelnden Personen auf der Bühne sichtlich die Düse ging. Ob allerdings Clemens Tönnies mit seinem großen Bulldozer tatsächlich alle Gräben zuschütten kann, wird sich erst noch zeigen müssen.
Er hat ja auch noch andere technische Geräte, zum Beispiel ein Flugzeug. Mit dem hat er die Gebeine von Adolf ,,Ala” Urban, der im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront gefallen ist, wieder zurück nach Gelsenkirchen geholt. Ein sehr emotionaler Film hat dieses Unternehmen dokumentiert. Etwas unglücklich war allerdings, diesen unter dem Tagesordnungspunkt ,,Bericht des Aufsichtsrats” zu zeigen. Er hätte sicher viel besser zum Punkt ,,Ehrenkabine” gepasst, in die Urban und Raúl gewählt worden sind.
Seltsam war auch, dass der Antrag zur Satzungsänderung (,,elektronische Abstimmgeräte”) nicht schriftlich abgestimmt werden konnte, weil die Wahlurnen nicht zur Verfügung standen. Die Urnen waren nach Angabe von Dr. Buchta zu der Zeit nämlich noch ,,unter notarieller Aufsicht” in der Auszählung. Wenn Dr. Buchta – selbst Rechtsanwalt – mit dem Notar nun Volker Stuckmann meinte, so sollte er sich mal besser vorher etwas schlauer machen. Volker Stuckmann ist nämlich inzwischen Notar a.D., sprich ,,außer Dienst”.
Zum Tagesordnungspunkt ,,Anträge” trat nun viaNOgo-Aktivistin Katharina Strohmeyer vor das Mikrophon, die ihren Eilantrag erläuterte. Es ging darum, ein Meinungsbild unter den Mitgliedern zu erzeugen, eine Testabstimmung ohne rechtliche Konsequenz: Wollen die Mitglieder, dass Schalke 04 den Vertrag mit viagogo aufkündigt? Es musste jetzt schnell gehen, denn mit dem 01.07., also zwei Tage nach der JHV, würde der Vertrag wirksam werden.
Der Aufsichtsrat wollte den Antrag zunächst nicht zulassen, da er nicht rechtzeitig mit einer Frist von sechs Wochen eingereicht worden sei. Das konnte er aber auch gar nicht, weil sich mit dem erst zwei Wochen alten rechtskräftigen Urteil des Oberlandesgerichts in Hamburg die Welt verändert hatte, wie Frank Zellin noch einmal auf dem Podium bekräftigte.
Nach einiger Diskussion mit den von Schalke engagierten Rechtsanwälten grummelte Dr. Buchta ins Mikro: ,,Ja gut, dann stimmen wir eben ab.” Man fühlte sich ein wenig erinnert an Günter Schabowski, der am Tag des Mauerfalls auf der Pressekonferenz zur neuen DDR-Reiseregelung stammelte: ,,Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.”
Der Antrag wurde mit geschätzter 80-prozentiger Mehrheit zugelassen (per Handzeichen, die Wahlurnen waren immer noch nicht wieder aufgetaucht) und mit der gleichen Mehrheit wurde ihm auch zugestimmt. Die Vereinsführung hatte es nun blau auf weiß: Sie handelt mit dem viagogo-Vertrag gegen den Willen der Mehrheit der Vereinsmitglieder. Dass bereits eine Woche später der Vertrag mit viagogo fristlos aufgekündigt wird, konnte hier aber noch niemand ahnen.
Alles in allem war es eine sehr turbulente Mitgliederversammlung, mit einigen Pleiten und Pannen für die Vereinsführung und Organisation, aber auch mit einem grandiosen Ergebnis für die viaNOgo-Aktivisten, die die deutliche Mehrheit der Mitglieder überzeugen konnten. Es war spannend zu sehen, dass eine Mitgliederversammlung noch die Kraft für eine Zweidrittelmehrheit besitzt, auch wenn von Seiten der Vereinsführung alles, aber auch wirklich alles, dagegen unternommen wird. Insofern war diese JHV auch ein symbolischer Sieg für die Mitgliedsrechte in unserem Verein.
Das Gute an der ganzen Auseinandersetzung mit dem viagogo-Vertrag ist, dass sich viele Mitglieder – vielleicht sogar erstmalig – sehr intensiv mit unserer Vereinspolitik und Satzung beschäftigt haben. Und sie werden dabei festgestellt haben, dass unsere Satzung so löchrig wie ein Schweizer Käse ist.
Hier nur mal ein paar ausgewählte Punkte, die zukünftig anders und besser geregelt werden müssen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Der Ehrenrat wird laut Satzung vom Aufsichtsrat vorgeschlagen und im Block von der Mitgliederversammlung gewählt. Der Ehrenrat hat als eine seiner Hauptaufgaben, vereinsinterne Streitigkeiten noch vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu schlichten. In Streitigkeiten hat der Aufsichtsrat unter Umständen aber auch den Aufsichtrat als Streitpartei vor sich. Dies führt unmittelbar zu einer persönlichen Befangenheit der Ehrenräte.
- Anträge müssen von den Mitgliedern begründet werden, die Ablehnung von Anträgen seitens des Aufsichtsrats kann allerdings unbegründet erfolgen.
- Es ist nun zum wiederholten Male vorgekommen, dass der Wahlausschuss Kandidaten zur Aufsichtsratswahl abgelehnt hat. Dies hat nun dazu geführt, dass nur noch drei Kandidaten für zwei Posten zur Wahl standen. Die drei Kandidaten rekrutierten sich dabei aus zwei aktuellen Aufsichtsräten und einem Kandidaten, der im Vorjahr nicht mehr in den Aufsichtsrat gewählt wurde. Dies kann dazu führen, dass sich der Aufsichtsrat nur noch aus einem geschlossenen Personenkreis zusammen setzen kann, wenn der Wahlausschuss keine neuen Kandidaten zulässt. Auch wenn der Vergleich hinkt, man fühlt sich doch ein wenig an Putin und Medwedjew erinnert.
- Im Wahlausschuss gibt es Mitglieder, deren (Ex-)Eheleute im Vorstand des FC Schalke 04 tätig sind. D.h. der (Ex-)Ehepartner entscheidet mit über die Personen, die zur Wahl des Aufsichtsrats zugelassen werden und nach der Wahl über die Arbeit des (Ex-)Ehepartners befinden. Solche persönlichen Verflechtungen sollten zukünftig bereits per Satzung ausgeschlossen werden, um erst gar nicht den Anschein von Einflussnahme zu erwecken.
- Per Satzung entsendet der Schalker Fanclubverband (SFCV) einen Vertreter in den Aufsichtsrat des FC Schalke 04. Aktuell ist dies Rolf Rojek. Da sich wesentliche Fangruppierungen (Ultras Gelsenkirchen, Supportersclub, u.a.) vom SFCV losgesagt haben, wird zu beobachten sein, inwiefern diese Satzungsregel noch zu halten ist. Dies wird auch wesentlich davon abhängen, inwiefern sich andere Modelle (wie etwa ein Fan-AbteilungsModell, das zur Zeit diskutiert wird) als tragfähig erweisen.
- Die Satzung des FC Schalke 04 sieht vor, dass Anträge mit einer Frist von sechs Wochen vor der Mitgliederversammlung eingereicht werden müssen. Worüber unsere Satzung schweigt, ist, dass dies nicht für Anträge zu Satzungsänderungen gilt. Diese müssen nämlich laut BGB schon mit der Einladung zur Versammlung mitgeteilt werden. Hier ist insbesondere der Vorstand gefragt, der ein für die Mitglieder akzeptables Verfahren finden muss, so dass die Einsendefrist für Anträge zu Satzungsänderungen auch für alle Mitglieder transparent wird.
Es wird nun die Aufgabe der Mitglieder sein, Satzungsänderungsanträge so sauber auszuarbeiten und fristgerecht einzureichen, dass sie nicht mehr vom Aufsichtsrat im Vorfeld abgelehnt werden können. Dazu wird einige juristische Spitzfindigkeit nötig sein.
Eines dürfte damit jedenfalls klar sein: Auch die nächste Mitgliederversammlung wird wieder spannend.
- „Wir kämpfen gegen den Pakt mit dem Teufel!”
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- Unser Ziel: Stoppt den Deal!
- „Die beste Lösung ist es, dass wir unsere Vereinspolitik wieder so gestalten, dass kein Mitglied mehr glaubt, eine solche Kampagne starten zu müssen”
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