(axt) Marcel Reif in seinem Auto durchgeschüttelt, eine ZDF-Mitarbeiterin twitterte ein Foto seiner Brandwunde am Bein durch einen Böller – und die Polizei teilt in einer ersten Pressemitteilung mit: „Das Sicherheitskonzept des Arbeitskreises Derby hat erneut gegriffen.“
BxB – Schalke 3:0, 28. Februar 2015
Seit Jahren ist die Polizei in der verbotenen Stadt nicht in der Lage, die Sicherheit anreisender Fans zu gewährleisten (SCHALKE UNSER berichtete mehrfach). Und auch diesmal kam es zu allerlei Zwischenfällen. „Im Rahmen der Ankunft von zwei der Entlastungszügen wurde vereinzelt Pyrotechnik gezündet“, musste die Polizei einräumen. Eine Fantrennung, wie die Beamten sie behaupten, konnte sich ebenfalls nicht durchsetzen.
Nicht zuletzt wegen der zweifelhaften Sicherheitslage wählten viele Schalker wieder einen anderen – im Polizeijargon „konspirativen“ Anreiseweg. Weiter im Polizeijargon: „Unter Missachtung des Sicherheitskonzeptes und der darin enthaltenen Anreisewege hat diese Gruppe ganz bewusst Gefahren in Kauf genommen, um einen Fanmarsch in Richtung Signal-Iduna-Park durchzuführen.“ Dort, das sei vorweggenommen, wurde niemand angegriffen und Böller flogen auch keine. Lohn der Mühe war jedoch zunächst einmal, eine Dreiviertelstunde in einer Dortmunder Vorortsiedlung herumzustehen, während die Ordnungskräfte sich sortierten. Die waren gleichzeitig damit befasst, eine andere anreisende Gruppe unter Kontrolle zu bekommen. Immerhin, die Krawalljungs der Kölner „Boyz“ mussten draußen bleiben.
Als es dann endlich weiterging, ging es friedlich zu den ersten Kontrollen. Die jedoch waren erst nur eng, dann geschlossen, so dass von hinten zahlreiche Schalker so viel Druck ausübten, dass den vorderen nur der Ausweg nach vorne blieb – die „Love Parade“ lässt grüßen. Die Polizei reagierte umgehend – nicht etwa, indem sie den Fluchtweg nach vorne frei machte, sondern zum beliebten „Deeskalationsmittel“ Pfefferspray griff und so das Chaos nur noch vergrößerte.
Durch die Kontrollen ging es dann nur wenig weiter: Warten war wieder angesagt, denn die Polizei wusste kurz vor dem Eingang zum Gästeblock wenig mit den Schalkern vor Ort anzufangen. Sie zum Einlass zu lassen war zu einfach. Die Beratungen dauerten und dauerten, und der Anpfiff rückte immer näher. Man sah eine Polizistin erst zur Uhr blicken und dann mit den Kollegen reden – und es waren keine Kenntnisse im Lippenlesen nötig, um zu erahnen, was sie ihrem Kollegen mitteilte: „Du, gleich ist Anpfiff!“
Zehn Minuten vor dem Anpfiff hatte die Polizei ihr Konzept endlich gefunden, wie sie mit den Schalkern umgehen wollten, und gab den Weg zu den Einlasskontrollen frei. Auch hier kam es, wie es kommen musste: Alles rannte. Vor so einem Ansturm schlossen Ordnungskräfte und Polizei flugs wieder die Tore. Die schnellsten Sprinter bremsten, wie man auch gut einem Youtube-Video ansehen kann, doch von hinten kam wieder der Druck – und wie schon zuvor hieß das nicht, die Tore wieder zu öffnen, sondern mit Pfefferspray zu agieren. Hillsborough lässt grüßen.
Die Polizei formuliert das so: „Kurz vor Spielbeginn drängte eine größere Gruppe auf Grund des unmittelbar bevorstehenden Anpfiffes in Richtung der Eingangstore.“ Tja, warum waren die denn nur so spät dran? „Durch Einsatzkräfte wurde hier unmittelbar vor den Stadioneingängen regelnd eingegriffen, um die Personen den Maßnahmen des Ordnungsdienstes geordnet zuzuführen.“ Im Endeffekt schaffte es kaum ein Schalker dieses Trupps, pünktlich zum Anpfiff im Block zu sein. Und die Maßnahmen erfassten wohl den Sitzplatzbereich nicht so richtig, denn einige Böller schafften es in den Block.
Nach dem Spiel wieder das übliche Szenario: Eine kurze Blocksperre, die aber wenige am Gehen hinderte, denn sie galt nur für den westlichen Teil des Blocks; über die anderen Ausgänge konnte man ungestört von dannen ziehen. Von einer Fantrennung vor dem Stadion konnte auch wieder keine Rede sein. Dennoch blieb die Abreise ungestört, abgesehen von Pannen bei der U-Bahn. Zum Polizeikonzept sei gesagt: „Die drei Entlastungszüge wurden auch während der Rückreise der Schalker-Fans gut angenommen, jedoch reichte die Kapazität der Züge nicht aus, um alle Fans zurück nach Gelsenkirchen zu transportieren.“
Die Frage nach dem Sicherheitskonzept beantwortet sich von selbst: „Trotz der deutlichen Präsenz von Einsatzkräften der Bundespolizisten im Dortmunder Hauptbahnhof kam es immer wieder zu vereinzelten Straftaten. Neben Körperverletzungen, Beleidigungen, Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz, Raub von Fanutensilien, kam es in einem Fall auch zu einer Gefangenenbefreiung. Insgesamt leitete die Bundespolizei 12 Ermittlungsverfahren ein.“
Auch von transparenter Öffentlichkeitsarbeit der Behörde konnte nicht die Rede sein: Die ganze Nacht durfte man auf die Pressemitteilungen warten, die erst am nächsten Morgen auf dem Server standen – dann aber rückdatiert, um wenigstens im Nachhinein eine „Liveberichterstattung“ vorzutäuschen. Und hier finden sich Sätze wie: „Trotz der konspirativen Anreise von 600 Schalker-Fans über den Haltepunkt Barop hat sich der größte Teil der Fans friedlich verhalten und damit gezeigt, dass sie den Vertrauensvorschuss der Bundespolizei auch verdient haben, bilanziert der Einsatzleiter der Bundespolizei, Sven Srol.“ Nur, dass die sich auch auf der „konspirativen“ Anreise friedlich verhalten haben, friedlicher als die auf der wieder einmal ach so „sicheren“ Reiseroute.