(rk) Jetzt haben wir Euch in einigen Artikeln und Interviews über die Chancen und Risiken einer Kapitalgesellschaft im Vergleich zu einem eingetragenen Verein aufgeklärt. Dabei ist es so, dass der Vorteil des einen oft auch der Nachteil des anderen ist. Viel Geld durch Investoren bedeutet eben auch, dass man seine Unabhängigkeit in weiten Teilen aufgibt. Was aber hat ein e.V., das eine AG niemals haben kann? Was ist überhaupt ein Verein?
Wikipedia sagt dazu: „Der Verein (etymologisch: aus vereinen ‚eins werden‘ und etwas ‚zusammenbringen‘) bezeichnet eine freiwillige und auf Dauer angelegte Vereinigung von natürlichen und/oder juristischen Personen zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks, die in ihrem Bestand vom Wechsel ihrer Mitglieder unabhängig ist.“ Eine Aktiengesellschaft hingegen ist „eine privatrechtliche Vereinigung und wird durch das Aktienrecht geregelt. Dabei handelt es sich um eine Kapitalgesellschaft, deren Grundkapital in Aktien zerlegt ist.“ Im Vordergrund bei einem Verein steht also „die Verfolgung eines bestimmten Zwecks“ – bei Schalke 04 heißt dies in der Satzung etwa: „Er (der Verein) erstrebt die körperliche, geistige und charakterliche Bildung seiner Mitglieder.“ Bei der Aktiengesellschaft hingegen steht schon in der Definition das Kapital im Vordergrund.
Nun sind wir aber alle in erster Linie Fußball-Fans. Kapital ist dabei sicher auch nicht zu vernachlässigen, interessiert uns aber doch weniger, wenn wir ein Fußballspiel von Schalke 04 in der Arena anschauen. Dann wollen wir, dass die Mannschaft ihr Bestes gibt und möglichst auch die drei Punkte einfährt. Dafür schreien wir uns die Seele aus dem Leib. Dafür fahren wir um die halbe Weltkugel. Dafür geben wir unser letztes Hemd.
Frage: Würden wir auch unsere Seele aus dem Leib schreien für eine Aktiengesellschaft? Dafür um die halbe Welt fahren und unser letztes Hemd geben? Für eine Kapitalgesellschaft?! Schalke 04 ist doch wesentlich mehr als eine Kapitalgesellschaft. Oder?! Wir alle sind sicher auch Fan dieses Vereins geworden, gerade weil dieser Verein so emotional ist. Weil der Verein einen Zusammenhalt bietet, den keine Kapitalgesellschaft dieser Welt bieten kann. Weil wir hier alle Freunde gefunden haben, mit denen wir durch dick und dünn gehen. Berg und Tal mit S04. Hätten wir diese Freunde in einer Aktiengesellschaft gefunden?
Als Mitglieder dieses Vereins sind wir Teil des Ganzen, Teil der Schalker Familie. Die alljährliche Familienfeier ist die Mitgliederversammlung. Und wie in jeder Familie so ist auch hier nicht immer alles voller Harmonie. Themen werden kontrovers diskutiert, Emotionen kochen hoch. Und man verträgt sich wieder. Blut ist dicker als Wasser. Und als Mitglieder haben wir tatsächlich Mitbestimmungsrechte. Jedes Mitglied hat eine Stimme bei der Wahl des Wahlausschusses oder des Aufsichtsrats. Alle zählen gleich, nicht wie in einer Aktiengesellschaft, in der die Stimmen danach gewichtet werden, wer wie viele Anteile gezeichnet hat. Und jedes Mitglied kann unseren Verein aktiv mitgestalten.
Schalke ist vor allem eine Gemeinschaft, in der jeder gleich ist, egal was er ist oder kann. Es zählt nur der Einsatz für die Mannschaft. und in dieser Art und Weise ist Schalke einzigartig – bei keinem anderen Verein hat sich eine so große und überzeugte Gruppe gegen den Abstieg gestemmt oder aber auf unglaublichen Wegen Karten besorgt, um den ersten internationalen Titel zu gewinnen (etwa in Valencia 1997). Und genau dieser Gedanke ist mit einer AG nicht vereinbar, denn dort zählt jeder genau das, was er hat (Anzahl Aktien), nicht das, was er tut, wie bei (unserem) Verein.
Und diese Mitbestimmungsrechte sind wichtig. In einer Aktiengesellschaft hätten wir zum Beispiel viagogo bekommen. Und auch behalten. Keiner hätte das noch aufhalten können. Das Korrektiv der Mitgliederversammlung, die „Schwarmintelligenz“ der Mitglieder ist ein Pfund, das man mit einer Kapitalgesellschaft aufgibt. Für immer.
Und auch wenn man manches Mal einen anderen Eindruck hat: Vorstand und Aufsichtsrat haben mit den Vereinsgeldern „treuhänderisch“ umzugehen. Das ist „unser“ Geld, das der Mitglieder, mit dem dort hantiert wird. In einer Kapitalgesellschaft gehört das alles „anderen“, den Investoren. Bleibt da nicht die Identifizierung auf der Strecke? Wenn das alles anderen gehört? Und auch nicht mehr auf uns gehört wird?
Wie es dann so gehen kann, wenn der Verein in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt wird, das beschreibt der HSV-Fan und Autor „nedfuller“ in dem Internet-Blog nedsblog.de: „Doch nach der Mitgliederversammlung am 25.05. 2014 ist viel in mir kaputt gegangen. Dieser Hass, diese Ignoranz, es ging bei mir einfach nicht mehr. Dennoch konnte ich meine Dauerkarte einfach nicht abgeben. Ich wollte sie mit ins Grab nehmen, niemals meinen Platz in 22C abgeben. Also versuchte ich das erste Heimspiel gegen Paderborn. Doch beim ersten Gegentor fühlte ich nichts. Keine Freude, keine Zufriedenheit, einfach nichts. Es waren dann drei Gegentore, ohne Gefühl, ohne emotionalen Beitrag von mir. Ich sang keine Lieder mit, weil es sich für mich falsch anfühlte. Es war nicht mehr der Hamburger Sport-Verein dort unten auf dem Rasen, sondern die HSV Fußball AG. Das fühlte sich einfach nicht richtig an.“
Es fühlte sich nicht richtig an. Ich möchte das nicht erleben. Ich möchte, dass sich das weiterhin echt und richtig anfühlt. In der Kurve. Mit 1000 Freunden, die nicht nur zusammen stehen, sondern den Verein aktiv mitgestalten. Weil das eben nur in einem Verein geht.