(rk) Es gibt immer mehr Versuche, die „50+1“-Regel im deutschen Profifußball zu Fall zu bringen. Eine der Organisationen, die dagegen kämpft, ist „Supporters Direct Europe“ (SD) mit Sitz in Irland. Ihre Projekte in England werden von der UEFA gefördert. Wir sprachen mit Antonia Hagemann und Stuart Dykes, die Deutschland als Betätigungsfeld entdeckt haben.
SCHALKE UNSER:
Martin Kind hat angedroht, gegen die 50+1-Regelung zu klagen. Er hat einen entsprechenden Antrag zum Kippen der Regel bei der DFL gestellt und lässt ihn nun pausieren.
ANTONIA:
Wir sehen uns die anlaufenden Diskussionen in Deutschland besorgt an. Dies vor allem vor dem Hintergrund, weil wir aus Erfahrungen mit Fans aus anderen europäischen Ländern wissen, was passieren kann, wenn man einmal die Möglichkeit der Mitbestimmung über die strukturelle Veränderung verloren hat. Man muss dazu auch nicht unbedingt in andere Länder gucken, es reicht dazu ein Blick nach Hamburg. Man muss auch kein Prophet sein um zu erkennen, dass die Pausierung des Antrags von Martin Kind auch nur bedeutet, dass das Thema kurz auf Eis gelegt wird. Ich denke, dass nun alle „ihre Messer schärfen“, ihre Argumente zurechtlegen und ihre Lobbyarbeit machen werden. Wir finden es daher extrem wichtig, dass die Mitglieder der Bundesligavereine darüber informiert werden, was 50+1 eigentlich bedeutet und der Wegfall für Folgen haben würde.
STUART:
Die Fans sollten genau wissen, was es bedeutet, wenn diese Regel abgeschafft wird, die Mitbestimmung also weniger würde. Gerade bei einem Verein wie dem FC Schalke 04 mit 150.000 Mitgliedern ist es extrem schwierig, diese Masse zu mobilisieren. Da sollten die Mitglieder vernünftig informiert werden, um über weitreichende Konsequenzen Bescheid zu wissen.
ANTONIA:
Es ist ja auch verlockend: Vereinsverantwortliche sagen den Fans, dass sie 20, 30 oder 40 Prozent – oder noch mehr – vom Klub veräußern und damit nun demnächst in der Champions League mit Manchester City konkurrieren können. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Mit Man City wird niemand mehr konkurrieren können. Die sind einfach davongezogen, weil der Verein unendliche finanzielle Mittel zur Verfügung hat.
SCHALKE UNSER:
Welche Interessen haben denn Martin Kind und andere, die 50+1-Regel kippen zu wollen?
STUART:
Der Grund, der immer angeführt wird, ist, dass die Bundesliga im internationalen Vergleich nicht mehr wettbewerbsfähig bleibt. Ich kann allerdings nicht erkennen, dass andere Ligen der Bundesliga enteilen. Und auch andere mitgliedergeführte Vereine – etwa aus Spanien – schaffen es ins Champions League-Finale. Das kann es also eigentlich gar nicht sein. Die Frage ist auch, mit wem man sich vergleichen will. Nur mit der Premier League oder auch mit den Spaniern und Italienern oder Franzosen? Und was ist mit den anderen Ligen?
SCHALKE UNSER:
Vielleicht auch nochmal von einer anderen Ecke kommend: Welches Interesse hat überhaupt ein Investor, Anteile an einem Fußballverein zu kaufen?
ANTONIA:
Da gibt es zum Beispiel politische Interessen wie in Italien, wo der Kandidat einer Partei glaubt, über den Erwerb eines Fußballklubs an die Wähler heranzukommen. Oft wird so ein Verein aber dann gar nicht professionell geführt und es artet in Arbeit für den Politiker aus. Dann schwindet das Interesse und die Anteile werden hochverschuldet weiter veräußert oder der Verein verschwindet von der Bildfläche.
Und dann gibt es Personen wie Roman Abramowitsch beim FC Chelsea. Bei ihm geht es um internationale Anerkennung und Einfluss. Bei Scheich Mansour sagen einige Leute auch, dass Man City für ihn nur eine Art Spielzeug sei. Möglicherweise geht esnbei einigen auch noch um Interessen der Geldwäsche. Was aber allen gemein ist, ist, dass nicht die Interessen des Vereins und der Fans im Vordergrund stehen, sondern die eines einzelnen oder einer Investorengruppe.
SCHALKE UNSER:
Warum sollte ein Investor auch die Interessen eines Fußballvereins teilen? Du sprichst grad viel von Einzelpersonen als Investor. In der Bundesliga werden es vielleicht mehr Unternehmen sein, die als Investor auftreten. Aber deren Interesse ist in erster Linie in Vorteilen im Sponsoring begründet. Puma investiert beim BxB aus strategischen Gesichtspunkten: Sie wollen sich dort ihre Konkurrenz vom Leib halten.
STUART:
Und sie bekommen auch noch Mitsprache im Verein, auch wenn diese durch die 50+1-Regelung gedeckelt ist. Aber bestimmt investieren hier schon jetzt einige Unternehmen, um dann beim Fall von 50+1 ihre Anteile zu erhöhen und damit ihre eigene Machtposition zu stärken. Vor allen Dingen ist es aber so, dass der Verein nur einmal Geld von den Investoren erhält. Beim HSV hat man bei der Ausgliederung im Rahmen von „HSV plus“ den Mitgliedern das Versprechen gegeben, mit dem eingenommenen Geld in die ChampionsLeague zu kommen. Was daraus geworden ist, kann man jetzt gut beobachten. Die ganze Diskussion ist schon falsch. Die Bundesliga ist nach der Premier League die zweitreichste Liga der Welt. Von daher zieht das Argument der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit auch nicht.
ANTONIA:
Die Gefahr besteht ganz einfach darin, dass wenige Investoren über die Geschicke eines ganzen Vereins entscheiden können, ohne auch nur irgend jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Bei einem Verein, in dem der geschäftsführende Vorstand Rechenschaft gegenüber einem Aufsichtsrat ablegen muss und indem alle Mitglieder in einer Mitgliederversammlung über die Geschicke des Vereins mitbestimmen, kommt man auch zu besseren Entscheidungen. Die Mitglieder sind der Verein. Und wenn der Verein nicht mehr mitgliedergeführt ist, dann gibt es im Prinzip auch gar keinen Verein mehr. Das ganze Konzept eines Klubs existiert dann gar nicht mehr.
Wenn man sich manche Ligen und Vereine anschaut, bei denen nicht mehr die Mitglieder mitbestimmen, sieht man, wohin das führt: teure Eintrittspreise, leere Stadien, keine Mitbestimmung mehr. Man entfremdet sich vom Verein, die Identifikation geht verloren.
STUART:
Häufig kommt auch das Argument, dass „lokale Investoren“ – wie Martin Kind in Hannover oder Klaus-Michael Kühne beim HSV – doch nur das Beste für einen Verein wollen. Wir sehen aber auch, dass dies nicht gut funktioniert. Das Risiko ist einfach zu groß, dass Investoren in das Geschäft eines Vereins eingreifen, auch wenn sie die notwendige Qualifikation dazu gar nicht mitbringen.
ANTONIA:
Das Hauptproblem, das wir sehen, ist, dass man als Mitglieder danach einfach nichts mehr in der Hand hat. Man verkauft einmal Anteile an einen Investor und diese Anteile sind unwiderruflich weg. Man kann vielleicht noch mit Rückkaufoptionen operieren, um damit zu versuchen, noch irgendetwas zu retten, aber auch das dürfte rechtlich sehr schwierig werden.
SCHALKE UNSER:
Ihr sprecht auf eurer Webseite häufig von „Good Governance“. Was versteht ihr beim Thema Fußball darunter?
ANTONIA:
Wir verstehen darunter „gute Vereinsführung“. Darunter fallen verschiedene Dinge: Demokratie, Transparenz, Rechenschaftspflichten, finanzielle Nachhaltigkeit – also nicht mehr ausgeben, als man verdient. Wir sehen dabei, dass das Konstrukt des eingetragenen Vereins großes Potenzial hat. Letztlich steht und fällt dieses positive Potenzial aber auch mit den Fans und Mitgliedern und ihrer Bereitschaft, sich zu engagieren.
SCHALKE UNSER:
Nochmal zurück zur 50+1-Regel: DFL-Geschäftsführer Christian Seifert betonte erst im Februar gegenüber der Presse, dass es diese Regel nur in Deutschland gibt.
STUART:
Das ist unwahr. In Schweden gibt es die 50+1-Regel ebenfalls. Vor einigen Jahren war diese Regel dort unter Beschuss, aber in einer fantastischen Initiative der Fans – auch mit Unterstützung durch uns – haben sie es geschafft, diese Regel zu halten. Herr Seifert weiß dies auch, da haben wir oft genug davon geredet. Die schwedische Liga steht wie die deutsche Liga wirtschaftlich sehr gut da, die Vereine werden finanziell nachhaltig geführt. Leider wissen viele Journalisten auch über die Situation in Schweden nicht ausreichend Bescheid. Und dann werden Aussagen von Herrn Seifert unhinterfragt übernommen. Wir werden in nächster Zeit versuchen, die Erfolge in Schweden auch nach Deutschland zu transportieren.
ANTONIA:
Auch in anderen europäischen Ländern denkt man darüber nach, die 50+1-Regel einzuführen. Zum Beispiel in Spanien: Dort gibt es grad eine Debatte im Parlament, weil sich die Parteien in die Führung der Fußballvereine einmischen wollen, denn dort nimmt die finanzielle Misswirtschaft überhand. Es wird diskutiert, ob man die 50+1-Regelung auch in der spanischen Liga verankern sollte. Man kämpft dort für etwas, was man schon lange verloren hat.
Und der einzige Weg, der hier noch eine Lösung verspricht, ist der, über das Parlament zu gehen. In der Europäischen Union ist eine – allerdings nicht bindende – Resolution verabschiedet worden, dass die 50+1-Regel als positiv gesehen wird, weil sie den Mitgliedern die Möglichkeit gibt, über das Schicksal ihres Vereins mitzubestimmen.
SCHALKE UNSER:
Auf Schalke gibt es aktuell starke Bekenntnisse zum eingetragenen Verein – sowohl vom Vorstand als auch vom Aufsichtsrat. In der Satzung ist eine Dreiviertelmehrheit auf einer eigens einzuberufenden Mitgliederversammlung erforderlich, um den Verein überhaupt für Investoren zu öffnen. Eine Öffnung für Investoren könnte daher realistisch eigentlich nur durch äußere Einflüsse forciert werden.
ANTONIA:
Wichtig ist, die Mitglieder zu informieren. Es muss den Mitgliedern klar werden, dass es eigentlich das Dümmste ist, was man als Fan machen kann, sein Mitbestimmungsrecht freiwillig abzugeben. Wenn das einmal weg ist, kriegt man es nie zurück. Das muss einem klar sein. Vielleicht ist das Beispiel aus Hamburg da auch nochmal ganz gut: Die Ausgliederungsdiskussionen haben dort Jahre zuvor angefangen, bevor die Ausgliederung durch die Mitglieder beschlossen worden ist. Der HSV Supportersclub hatte sich zwar immer so geäußert, dass der Verein und die Mitbestimmung bleiben müssten, aber die Kampagne zum Erhalt des eingetragenen Vereins fing zu spät an. Die Masse an Mitgliedern war da nicht mehr zu motivieren.
Die Kultur auf Schalke ist eine andere. Aber ich denke, dass es das Gefährlichste ist, was deutschen Fans passieren kann, dass diese glauben, sie müssten das Thema nicht diskutieren und sie wären mit einer Dreiviertelmehrheit auf der sicheren Seite. Das könnte zum Trugschluss werden, vor allem, wenn der Verein sportlich mal mit dem Rücken zur Wand steht und die Millionen einer Ausgliederung zu verlockend sind.
STUART:
In Hamburg hatte der HSV 60.000 Mitglieder und der Supportersclub 55.000 Mitglieder. Viele haben gedacht, dass sie da quasi unschlagbar wären. Aber da hat auch die sportliche Misere eine große Rolle gespielt. Der Supportersclub wurde quasi als Sündenbock dargestellt, weil sie die Investoren verhinderten. Auf Schalke haben wir den Vorteil, dass wir aktuell auf dem zweiten Platz stehen. Aber lass uns mal auf Platz 17 stehen, dann geht die Diskussion ganz schnell in eine andere Richtung.
Und dann ist irgendeiner schuld. Auch auf Schalke gibt es genügend Fans, die meinen, man müsste mit dem modernen Fußball mitziehen und wir brauchen Investoren. Und alles, was ihr da sagt, das ist von anno dazumal und nicht mehr relevant. Ich denke, es muss nicht viel passieren, dass das kippen kann. Das darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich habe beim HSV hautnah miterlebt, wie schnell dort die Stimmung gekippt ist. Und die haben am Ende mit 87 Prozent für die Ausgliederung gestimmt. Das muss man sich mal vorstellen.
Nun wird es eine Grundsatzdiskussion zu 50+1 geben. Manche Fanorganisationen verweigern sich dieser Diskussion, weil sie sagen, dass diese Diskussion bereits vor drei Jahren geführt und entschieden wurde. Ich kann das zwar nachvollziehen, aber diese Grundsatzdiskussion wird kommen – ob wir wollen oder nicht. Da sehe ich die Gefahr, dass wir uns als Fans nicht geeignet darauf vorbereiten. Das ist wie beim HSV: Als die das gerafft haben, war es schon zu spät.
ANTONIA:
Wenn die Fans jetzt nicht zusammenkommen und eine vereinte Stimme und Position formieren können, dann fährt das Ding ab. Und selbst wenn es auf Schalke nicht passiert, dann fährt es erst woanders ab. Und dann gerät der Verein FC Schalke 04 auch weiter unter Druck. Wir wollen und hoffen, dass sich die Fans in Deutschland formieren, eine gemeinsame Position finden und dafür sorgen, bei jedem einzelnen Verein, dass die Mehrheit der Mitgliedschaft hinter 50+1 steht. Das ist harte Arbeit, aber nötig.
SCHALKE UNSER:
Vielen Dank für das Gespräch. Glückauf!
SD Europe ist eine gemeinnützige Organisation, die nationale Fanorganisationen und mitgliedergeführte Vereine aus über 20 Ländern vertritt. Ziel ist es, Fanmitbestimmung im Fußball zu erreichen oder zu verbessern. SD Europe ist auch dafür verantwortlich, der UEFA dabei zu helfen, Fanbeauftragte in allen europäischen Ligen einzuführen und sie dann miteinander zu vernetzen und zu schulen.
SD Europe ist der Ansicht, dass der Sport besser wird, indem man Fans in Kontrollorgane und Entscheidungsprozesse einbezieht – und dass dies auch ganz allgemein soziale und wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. Mehr erfahrt Ihr unter: www.sdeurope.eu